Jestatten: Boris Mamuzah Lum
Die Bewegungen wirkten einstudiert, fast schon routiniert. Antizipieren, anlaufen und zugreifen. Doch diesmal ging es nicht um einen Zweikampf im Fußball. Zu Jahresbeginn stellte sich Boris Mamuzah Lum – ausgestattet mit einer Kamera von HerthaTV – einem etwas anderen Eins gegen Eins. Unbekümmert und selbstbewusst löcherte der 16-Jährige die Profimannschaft mit allerlei bunten Fragen und fing die Antworten bildlich ein. Die Art und Weise passt aber auch auf dem grünen Rasen zu dem jungen Mittelfeldspieler – das bestätigen langjährige Wegbegleiter aus unserer Akademie ohne zu zögern. Mut zeichnet das Auftreten des Herthaners aus.
Mit den Profis im Trainingslager
Aber der Reihe nach: Dass es beim Mannschaftabend im Trainingslager in Spanien überhaupt zu diesem lustigen Austausch kommen konnte, hatte maßgeblich zwei Gründe. Pál Dárdai hatte noch einen freien Platz im Profi-Aufgebot zu vergeben. Und Mamuzah Lum gehörte in der ersten Hälfte der Saison 2023/24 zu den auffälligsten Talenten im Nachwuchs der Hauptstädter. So war die Nominierung beinahe folgerichtig, passt sie doch auch wunderbar zum ausgegebenen Berliner Weg. „Ich war gerade bei einem DFB-Lehrgang der U17 in Spanien, also ganz in der Nähe, als mich mein Trainer Rejhan Hasanović via Facetime angerufen hat. Ich war schon ein wenig überrascht, weil wir sonst ‚normal‘ telefonieren, und vor allem als Zecke Neuendorf noch dazukam. Dann haben sie mir gesagt, dass ich zu den Profs ins Trainingslager reisen darf“, erinnert sich der Teenager, den alle seit dem Kindergarten nur Bobo nennen.
Keine falsche Scheu
Das Glänzen in den Augen des Youngsters ist auch Monate später beim Erzählen noch zu sehen – auch wenn er einräumt, kurz überlegt zu haben, ob es als so junger Spieler nicht ein wenig komisch bei den alten Hasen werden könnte. „Allerdings“, so der Teenager weiter, „war die Vorfreude natürlich viel größer, die Jungs haben mich super aufgenommen. Ganz so groß war die Aufregung dann doch nicht.“ Speziell Jonjoe Kenny und Deyovaisio Zeefuik haben den Sechser früh unter ihre Fittiche genommen. „Als ich das erste Mal in den Mannschaftsbus gestiegen bin, hat Jonjoe mir direkt signalisiert, dass ich mich zu ihm setzen soll“, gibt Mamuzah Lum zu Protokoll. Vom Engländer, aber auch den anderen Spielern, erhielt er immer wieder kostbare Ratschläge. Und Pál Dárdai? „Der hat mich vorgestellt und mich ermutigt, ohne Angst frei aufzuspielen“, berichtet der Junioren-Nationalspieler, der die deutsche U17 als Kapitän anführt.
[>]Ich musste mir schon immer anhören, dass ich zu klein bin. Schon beim Zocken im Käfig ging es immer viel um Zweikämpfe, die musste ich gewinnen, um mich gegen Ältere, Größere oder Stärkere zu behaupten.[<]
Gesagt, getan: In Ehrfrucht erstarrte er weder beim beschriebenen Teamabend, noch mit dem runden Kunstleder am Fuß. Nicht zuletzt in den Tests gegen Mechelen und gegen die Rangers aus Glasgow deutete der technisch beschlagene und flinke Zentrumsspieler sein Potenzial an. „Es ist natürlich alles viel körperlicher im Männerbereich, ich hatte viel weniger Zeit am Ball. Das war schon eine krasse Umstellung“, schildert der Kicker schmunzelnd. Mit einer aktuellen Körpergröße von 1,73 Metern geht der Heranwachsende auch gegen deutlich größere Kontrahenten dahin, wo es wehtut. Keine besondere Sache für ihn: „Ich musste mir schon immer anhören, dass ich zu klein bin. Schon beim Zocken im Käfig ging es immer viel um Zweikämpfe, die musste ich gewinnen, um mich gegen Ältere, Größere oder Stärkere zu behaupten.“
Das soll erst der Anfang sein
Die Tage in Spanien waren für den gebürtigen Berliner, der im Oktober 2007 in Friedrichsfelde zur Welt kam, ein absolutes Highlight. Vor allem allerdings ein Ansporn, seinen Traum vom Profifußball weiter akribisch zu verfolgen. Gleiches gilt auch für die U23-Einsätze im Rahmen des Premier League International Cups. Dabei kann er auf die blau-weiße Unterstützung setzen. „Bobo ist ein herausragendes Talent. Für sein Alter ist er unheimlich reif und übernimmt viel Verantwortung – auf und neben dem Platz. In ihm steckt noch viel Potenzial“, ist sich Zecke, Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich, sicher. Trainer Hasanović lobt den Rechtsfuß, der auch mit dem anderen Fuß über eine starke Ballbehandlung verfügt. „Bobo ist ein absoluter Leader, ein Gewinnertyp, der sehr fleißig und diszipliniert ist. Ihn zeichnen seine Zweikampfstärke, sein Gefühl für Räume und sein Übergangsspiel aus.“ Und wo ist noch Luft nach oben? „Natürlich muss er trotz geschicktem Auftreten weiter körperlich an sich arbeiten, aber das ist als 16-Jähriger ganz normal. Vielleicht ist er in manchen Situationen auch ein wenig zu ehrgeizig.“
[>]Ich weiß, dass ich manchmal ein wenig zu selbstkritisch bin, aber das bin ich lieber, als mich zu überschätzen.[<]
Und was sagt der Akteur, der N’Golo Kanté und Thiago Alcántara als Vorbilder bezeichnet, selbst? Auf jeden Fall etwas, das seine Bodenständigkeit unterstreicht. „Ich weiß, dass ich manchmal ein wenig zu selbstkritisch bin, aber das bin ich lieber, als mich zu überschätzen. Ich muss weitermachen. Und Woche für Woche unverzichtbar für das Team sein.“ Flausen im Kopf, die für einen Jungen in diesem Alter normal wären, kommen im Gespräch nicht zum Vorschein. Stattdessen antwortet Mamuzah Lum wohlüberlegt. Das gilt übrigens auch mit Blick auf die Schule, wenn er sagt: „Wenn ich im Unterricht gut aufpasse, muss ich in meiner freien Zeit weniger nachholen.“ 2026 möchte er u.a. mit dem Leistungskurs Englisch an der Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule sein Abitur bestehen.
Durchboxen nach dem Wechsel zu Hertha
Ob Schulbank oder Fußballplatz – dass ihm nichts einfach so in den Schoß fällt, weiß Mamuzah Lum. Denn gerade seine Anfangszeit bei den Blau-Weißen war nicht immer leicht. 2016 war das, als Achtjähriger in der U10. „Bei Borussia Friedrichsfelde und bei Union Berlin habe ich immer zu den Besten gehört. Hier musste ich mir meinen Platz erst erkämpfen, weil ich es nicht immer geschafft habe, gute Trainingsleistungen auf den Platz zu bekommen“, erklärt er. Das änderte sich erst in seiner dritten Saison in der U12. „Michael Dober, der jetzt noch im Verein ist, hat auf mich gesetzt und mich gefördert. Da bin ich richtig angekommen bei Hertha.“ Mit den Jahren – spätestens in der U15 – spielte sich der Mittelfeldmann auf der Sechs fest. „Dort kommt meine Defensivstärke am besten zur Geltung, aber ich kann auch auf der Acht agieren.“
[>]Es ist mein großer Traum, hier das Profidebüt zu feiern.[<]
Nicht aufgeben, darin hat ihn auch seine Mutter bestärkt, die ihren fußballspielenden Filius eng begleitet. „Sie versucht jedes Spiel vor Ort zu verfolgen. Ob zu Hause oder auswärts, auch die Partien mit der Nationalmannschaft“, sagt der Basketball-Fan, der Kyrie Irving gerne zuschaut. Jenem Akteur, der nach seiner ersten Saison als bester Rookie ausgezeichnet wurde. Mutter Stella war auch der Grund, weshalb er einst vom Osten der Stadt in den Westen gewechselt ist. „Ich bin den Hertha-Verantwortlichen in den direkten Duellen aufgefallen. Union wollte mich halten, aber in Gesprächen mit meiner Mutter sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hier eine größere Chance sehen.“ Das Verhältnis ist nach wie vor ein sehr enges, auch wenn der Sohnemann, der noch drei Geschwister hat, seit 2022 ein eigenes Zimmer im Internat bewohnt und nicht mehr so oft zu Hause in Lichtenberg ist.
Mit der U17 angreifen
Die Chance ist besonders in der jüngeren Vergangenheit nicht kleiner geworden. Mamuzah Lum, der sich im vergangenen Sommer langfristig an Hertha BSC gebunden hat, hat durch die jüngsten Erfahrungen Blut geleckt. „Der Verein ist mir sehr wichtig, ich bin seit fast acht Jahren da. Es ist mein großer Traum, hier das Profidebüt zu feiern“, unterstreicht das Talent, das sich voll mit dem eingeschlagenen Weg der Alten Dame identifizieren kann. „Der Club steht für eine sehr gute Ausbildung im Nachwuchsbereich. Zu sehen, dass jedes Jahr Jungs bei den Profis die Chance bekommen, fördert den Glauben, es selbst auch zu schaffen.“
Doch zunächst liegt der volle Fokus auf der Schlussphase der Saison mit der U17. Nach elf Spielen ohne Niederlage rangiert Lum mit seinen Mitspielern auf dem dritten Platz, zumindest der zweite Rang ist greifbar. „Wir möchten angreifen, auch die noch ausstehenden Duelle gewinnen, dazu haben wir das Potenzial. Und dann sehen wir, wozu das reichen wird. Außerdem möchten wir den Berlin-Pokal holen.“ Die Chance auf eine weitere Teilnahme im Trainingslager würden diese Erfolge auf jeden Fall nicht schmälern.