Wilhelm Wernicke
Wilhelm Wernicke (1882-1967) war über mehrere Jahrzehnte Präsident von Hertha BSC. Länger als er hat noch keiner den 1892 gegründeten Verein geleitet. Unter seiner Führung gewann Hertha BSC 1930 und 1931 die Deutsche Meisterschaft. Dennoch geriet sein Name vollständig in Vergessenheit. Erst durch die 2009 erschienene Studie des Berliner Historikers Daniel Koerfer über 'Hertha unter dem Hakenkreuz' wurde seine Bedeutung für den Verein wieder sichtbar. Mit dem im Jahr 2021 zum zweiten Mal ausgelobten Wilhelm Wernicke-Preis erinnert die Hertha BSC Stiftung an seine großen Verdienste.
Neuerliche Nachforschungen im Auftrag der Hertha-Stiftung zeichnen das Bild eines Mannes, der so etwas wie die 'Seele des Vereins', der Vater von Hertha BSC war. Besondere Verantwortung für die Vereinsfamilie übernahm Wernicke zusammen mit seiner Frau Martha in den schweren Jahren der Nazi-Herrschaft und der beiden Weltkriege.
Seit 1908 gehörte Wernicke dem Vorstand von Hertha BSC (damals Hertha 92) an. Wernicke war von Beruf kaufmännischer Angestellter und als Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär tätig. Er sorgte sich um die Verwandten gefallener Vereinsmitglieder und kümmerte sich um die 'Herthaner', die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unter der Hyperinflation von 1923 und der Massenarbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 litten.
In seiner Neujahrsansprache für 1922 - veröffentlicht im Dezember-Heft 1921 der Mitteilungen des Vereins - schrieb er: „Wir stehen uns alle einander nahe, kennen oft die Sorgen des andern und wissen auch seine Wünsche und wollen, wenn die Wendestunde schlägt, hoffen, dass nun unser Sehnen erfüllt werde. – Mit einem hohen Berge von Hoffnungen gehen wir in das neue Jahr. Die Hoffnungen zu schildern, erspare ich mir; wessen Herz warm für Hertha schlägt, hegt sie mit mir.“
Auch nach der Errichtung der NS-Diktatur 1933 blieb Wernicke seiner Hertha treu. Dies symbolisierte nicht nur die Tatsache, dass er seit den Zeiten der Weimarer Republik und bis nach dem Zweiten Weltkrieg in der Grüntaler Straße im Wedding nahe der 'Plumpe', dem legendären Vereinsstadion am Gesundbrunnen, wohnte. Wernicke arbeitete in der Zeit der NS-Diktatur weiter für Hertha, jetzt allerdings als 'graue Eminenz' hinter den Kulissen. Seine Vernetzung in der Arbeiterbewegung wäre sonst zu gefährlich für ihn und den Verein gewesen.
Die offizielle Leitung des Vereins übertrugen die damals rund 500 Vereinsmitglieder bereits im Juni 1933 einem 'Vereinsführer', der Parteigenosse war, um einer Gleichschaltung durch die NS-Ortsgruppe Gesundbrunnen oder einen der NS- oder SS-Sportvereine zu entgehen. Eine Überprüfung auf Mitgliedschaften in der NSDAP oder anderen NS-Organisationen in den überlieferten Unterlagen des Bundesarchivs oder des Landesarchivs Berlin lieferte keinerlei Hinweis auf ein weitergehendes Engagement Wernickes für NS-Staat oder -Partei.
Bezeugt wird, dass Wernicke und seine Frau während des Zweiten Weltkrieges jeden Montag die Zeitschrift 'Fußball-Woche' an mehrere Hundert Soldaten, die Herthaner waren, versandte – die allermeisten dieser Sendungen gingen an die Ostfront. Wernicke erreichte, dass dazu eigenes eine kleine Poststelle an der 'Plumpe' errichtet wurde.
Als Mitglied der 'Deutschen Arbeitsfront' oder als Mitwirkender an Sammlungen des Kriegs-Winterhilfswerks zeigte er – so ist nach heutigem Kenntnisstand anzunehmen – gerade so viel Anpassungsbereitschaft zum NS-Regime, um 'politisch nicht aufzufallen'. 1943 wurde ihm für seine Verdienste um die Vereinsarbeit das Ehrenzeichen der deutschen Volkspflege verliehen. Aber er bewahrte dabei seine Integrität; Antisemitismus und Rassenwahn blieben ihm und auch seiner Frau zutiefst fremd. Der holländische Zwangsarbeiter Abraham 'Bram' Appel, der im Krieg für Hertha BSC Fußball spielte, erklärte rückblickend nicht zuletzt wegen Wilhelm Wernicke ganz entschieden: „Hertha war kein Nazi-Club!“
Zum Kriegsende konnte Wernicke hauptamtlicher Geschäftsführer von Hertha BSC werden. Er rettete den Verein maßgeblich in die Nachkriegszeit. Die Rote Armee eroberte zunächst Berlin, bevor Anfang Juli 1945 die Stadt unter den vier Siegermächten aufgeteilt wurde. Noch im Mai 1945 erlangte Wernicke bei der sowjetischen Militäradministration Genehmigungen für den Wiederaufbau der zerstörten Sportanlagen von Hertha BSC.
Kurz darauf wurde der Verein aber wie alle Sportvereine aus der Zeit der braunen Diktatur in Berlin verboten. Hertha BSC musste von 1946 bis 1950 unter dem Tarnnamen Sportgemeinschaft Gesundbrunnen agieren. Wernicke bereitete maßgeblich die Wiederzulassung des Vereins in West-Berlin zum Ende der Blockade im September 1949 vor. Für den Sport zuständig war Bürgermeisterin Louise Schroeder, Sozialdemokratin wie er selbst. Bei der Wiederzulassung des Vereins durch die Alliierten wird auch Wernicke auf mögliche NS-Belastungen 'gescreent' worden sein – ohne jeden negativen Befund.
Mit sozialem Gespür, vor allem aber einer unerschütterlichen Überzeugung, solidarisch für 'seine Vereinsfamilie' einzutreten, blieb Wernicke, gemeinsam mit seiner Frau Martha, Hertha BSC bis zu seinem Tode 1967 zutiefst verbunden.
Den Werten und Leitlinien von Wilhelm Wernicke fühlt sich die Hertha BSC Stiftung verpflichtet.