
„Ich habe viel dafür gearbeitet“
Der Berliner Weg verlief für Derry Scherhant etwas anders als gewöhnlich. Erst 2020 landete der in unserer Hauptstadt geborene Angreifer in der Fußball-Akademie von Hertha BSC. Über die U19 und die U23 schaffte unsere Nummer 39 den Sprung zu den Profis. Dort zählt der 22-Jährige mittlerweile zu den Leistungsträgern, verpasste als einziger Feldspieler neben Ibrahim Maza in dieser Saison noch keinen Auftritt, stand in 26 von 30 Pflichtspielen in der Startelf und sammelte wettbewerbsübergreifend 17 Scorerpunkte (neun Tore, acht Vorlagen). Außerdem feierte Scherhant kürzlich sein Debüt bei der deutschen U21-Nationalmannschaft. „Es ist eine Bestätigung für ihn und seine gezeigten Leistungen, außerdem auch eine Bestätigung für den Verein und die Arbeit hier“, kommentierte Cheftrainer Stefan Leitl die erfreuliche Entwicklung. Der Offensivakteur selbst verriet im Interview mit Redakteur Erik Schmidt: „Es war natürlich mein Ziel, nicht nur ein Teil der ersten Mannschaft, sondern auch Stammspieler zu werden. Ich habe viel dafür gearbeitet, dass es tatsächlich so gekommen ist.“ Außerdem sprach der Rechtsfuß über Kritik und Vorbilder, Dribblings und Sonderschichten, Hermann Gerland und die Formel 1.
Derry, hinter uns liegt ein Heimsieg gegen den KSC. Auch für dich persönlich lief die Begegnung erfolgreich. Olympiastadion, Startelf, Torbeteiligung – wie viel Routine stellt all das mittlerweile für dich dar?
Scherhant: Ins Olympiastadion einzulaufen und zu sehen, wie viele Fans Spiel für Spiel da sind, ist definitiv jedes Mal etwas Besonderes. Vor allem wenn man aus Berlin kommt und schon als kleiner Junge von seinen Eltern zu Heimspielen mitgenommen wurde. Es ist eine große Ehre, in diesem Stadion auf dem Rasen stehen zu dürfen. Auch, weil es ein ganz besonderes Feeling auslöst und sich auch von den anderen Stadien der 2. Bundesliga abhebt. Insgesamt habe ich einen guten Rhythmus gefunden und mir ein gewisses Selbstvertrauen aufbauen können. An diese Leistungen will ich weiterhin anknüpfen und mein Bestes geben.
Wenn es in dieser Partie einen Wermutstropfen gab, dann die unberechtigte gelbe Karte gegen dich, deine vierte in dieser Saison. Wie hast du die Situation rund um die vermeintliche Schwalbe wahrgenommen?
Scherhant: Über diese Karte habe ich mich sehr geärgert! Ich bin mit Tempo an meinem Gegenspieler vorbeigezogen, aber etwas im Boden hängengeblieben und dadurch gestolpert. Es war weder mein Ziel, mich fallen zu lassen, noch im Anschluss einen Strafstoß zu fordern. Der Schiri hat es leider anders wahrgenommen und mich direkt verwarnt. Nun ist es nur noch eine Karte bis zur Sperre – nicht schön, denn ich möchte der Mannschaft natürlich in jedem Spiel helfen.

Das Ganze resultierte aus einem Dribbling. Dribbling als Stichwort: Der Übersteiger zählt beispielsweise zu deinen Spezialitäten. Wie viel Freude hast du an Eins-gegen-eins-Duellen? Welche Bedeutung besitzen sie für dein Spiel?
Scherhant: Ich fühle mich sehr wohl in diesen Situationen. Es macht mir großen Spaß als Offensiv- bzw. Flügelspieler diese Duelle zu suchen und sie möglichst für mich zu entscheiden. Nur wenn man sie sucht, kann man sie auch gewinnen und besser werden. Ich komme eigentlich schon, solange ich Fußball spiele, über mein Tempo, mein Dribbling, meine Finten – auch über meinen Abschluss. Da war für mich die Zeit in der U19 und in der U23 eine ganz wichtige, als ich Stürmer und weniger auf dem Flügel gespielt habe. Dadurch bin ich allgemein ziemlich variabel.
In der vergangenen Saison musstest du dir aufgrund des einen oder anderen Hakens auch Kritik gefallen lassen. Wie sehr hat dich das getroffen? Wie bist du damit umgegangen?
Scherhant: Davon habe ich vor allem in den sozialen Medien mitbekommen. Aber generell beschäftige ich mich mit dem, was von außen kommt, nicht so sehr. Das Wichtigste ist das, was die Trainer sagen. Beispielsweise auch ein Hermann Gerland bei der U21-Nationalmannschaft: Er meinte zu mir, dass es ihm gefällt, wie ich diese Eins-gegen-eins-Duelle suche und dass ich das, wenn ich zuvor vielleicht zwei Mal nicht vorbeigekommen bin, direkt nochmal probieren soll. Von solchen Gesprächen versuche ich, viel mitzunehmen und zu lernen. Außerdem versuche ich, mir auch einiges von anderen Spielern abzuschauen, um meine eigenen Stärken am besten zu nutzen. Beispielsweise von Rafael Leão, der auch Rechtsfuß ist und auf der linken Seite spielt. Durch den Rückhalt der Trainer in dieser Saison und die vielen Einsätze konnte ich mir ein gewisses Selbstvertrauen aufbauen, das mir definitiv in meinem Spiel hilft.
Inzwischen weißt du auch ganz klar mit Effektivität zu überzeugen. Wie erklärst du dir diesen großen Schritt nach vorne? Welchen Anteil daran hatte Cristian Fiél?
Scherhant: Einen sehr großen! Er stand von Anfang an zu einhundert Prozent hinter mir, hat mir klar gesagt, was er von mir erwartet und mir dadurch Selbstvertrauen gegeben. Genauso Jaime (Monroy, Anm. d. Red.), der viele Gespräche und individuelle Videositzungen mit mir geführt hat, um mir aufzuzeigen, was ich noch besser machen kann. Dieser Rückhalt hat mir extrem geholfen und mich noch stärker gemacht. Das war sehr wichtig, denn die vergangene Saison war in vielerlei Hinsicht nicht einfach.

HerthaTV hast du im Rahmen der Doku verraten, dass du dir selbst vor jeder Spielzeit gewisse Ziele steckst. Wie viel von dem, was du dir im vergangenen Sommer vorgenommen hast, konntest du bis zum jetzigen Zeitpunkt schon erreichen?
Scherhant: Ich habe noch nicht alle Ziele erreicht, aber ich bin auf einem sehr guten Weg (grinst). Es geht dabei vor allem um messbare Statistiken wie Tore, Vorlagen und Spielzeit. Die genauen Zahlen behalte ich allerdings für mich.
Unabhängig von Treffern und Assists: Für wie wahrscheinlich hast du eine solche Entwicklung zum Leistungsträger der Profis bei deinem Wechsel zu Hertha BSC vor fast fünf Jahren gehalten?
Scherhant: Es war natürlich mein Ziel, nicht nur ein Teil der ersten Mannschaft, sondern auch Stammspieler zu werden. Ich habe viel dafür gearbeitet, dass es tatsächlich so gekommen ist.
Du schiebst regelmäßig Extraeinheiten. Wie sehen diese aus? Was treibt dich an?
Scherhant: Ich mache sowohl hier auf dem Gelände als auch abseits davon viel zusätzlich zu unseren normalen Trainingseinheiten. Denn ich will die beste Version, die ich sein kann, aus mir herausholen. Zwei, drei Mai in der Woche gehe ich morgens joggen, hinzu kommen natürlich auch Einheiten im Gym. Das tut mir gut. Ich habe da einen Rhythmus gefunden, der für mich passt.
Du musstest in deiner Karriere auch viele Widerstände überwinden, dein Weg verlief nicht geradlinig. Wie viel Energie ziehst du aus Rückschlägen?
Scherhant: Wenn es nicht so gut läuft, treibt es einen tatsächlich extrem an. Ich arbeite dann meist noch härter. Insgesamt versuche ich aber, Motivation aus vielen Kleinigkeiten zu ziehen.

Ein gutes Beispiel dafür: Nachdem du gegen Schalke nur als Joker zum Einsatz gekommen warst, hast du in Braunschweig und im Duell mit dem KSC vier Scorerpunkte folgen lassen. Hat dir das zusätzlichen Antrieb verliehen?
Scherhant: Ja, schon. Das Wichtigste ist natürlich, dass die Mannschaft erfolgreich ist. Aber als Spieler möchte man auch am liebsten jedes Spiel von Anfang an spielen und über 90 Minuten auf dem Platz stehen, um dabei bestmöglich zu helfen. Grundsätzlich hat das aber schon dazu geführt, dass ich in der anschließenden Trainingswoche nochmal mehr Gas gegeben habe. Die vergangenen beiden Spiele liefen dann ja auch richtig gut.
Für dich auch auf einer etwas veränderten Position. Wie sehr gefällt dir die neue Rolle im Doppelsturm neben Fabian Reese?
Scherhant: Wir harmonieren sehr gut miteinander. Ich habe Fabi auch schon ein paar Bälle aufgelegt, als nächstes ist er dann dran (lacht). Wir können beide durch die Tiefenläufe unsere Stärken gut einbringen. Insgesamt sind wir dennoch unterschiedliche Spielertypen, die sich aber gut ergänzen. Es macht auf jeden Fall Spaß, mit ihm da vorne zu spielen.
Wie erlebst du bislang die Zusammenarbeit mit Stefan Leitl?
Scherhant: Sehr positiv. Das Training macht viel Spaß und ist auch inhaltlich sehr gut. Wir haben uns zuletzt als Mannschaft offensiv wie defensiv verbessert.
Der Coach hatte nach der Länderspielpause verraten: „Derry strahlt in der Kabine.“ Erzähl uns doch bitte mal mit eigenen Worten, wie glücklich dich dein Debüt für die deutsche U21-Nationalmannschaft gemacht hat.
Scherhant: Es war mega und hat mir riesigen Spaß gemacht, mich mit den anderen Jungs, die zum Teil in der Bundesliga zum Stamm zählen, zu messen! Auch das ganze Drumherum war beeindruckend und motiviert natürlich, alles dafür zu geben, um im Sommer zur EM mitzufahren. Das ist auf jeden Fall mein Ziel. Ich denke, dass ich es im Training gut gemacht habe. Aber mir ist auch bewusst, dass ich aufgrund von Ausfällen nachgerückt bin. Nichtsdestotrotz besteht eine realistische Chance. Das Wichtigste ist einfach, dass wir als Mannschaft – und ich persönlich dann auch – performen, damit dieser Wunsch wahr wird.
Welche Eindrücke sind von der Reise außerdem hängengeblieben – du hast den Austausch mit Co-Trainer Hermann Gerland schon angesprochen?
Scherhant: Ich bin Menschen begegnet, die ich bislang nur aus dem Fernsehen kannte. Plötzlich stand ich mit denen auf dem Platz und habe mir angehört, wie sie mich einschätzen. Mit solchen Leuten zusammenarbeiten zu dürfen, war eine Riesenerfahrung!
Wenn du gerade einmal nicht mit der Nationalmannschaft unterwegs bist oder für unsere Alte Dame auf Torejagd gehst, wie schaltest du zwischen den ganzen Trainingseinheiten und Zusatzschichten am liebsten ab?
Scherhant: Mit Schlafen (grinst). Sonst treffe ich noch gerne Freunde, gehe essen, pokere mit den Jungs, spiele Playstation – und gucke Formel 1. Ich bin großer Fan von Lewis Hamilton.
Nach der Länderspielpause bist du inzwischen mit unserem Hauptstadtclub zurück im Ligaalltag. Dieser führt euch am Samstag (05.04.25, 20:30 Uhr) nach Köln. Wie schaust du auf die Aufgabe?
Scherhant: Uns erwartet eine Mannschaft, die einen guten Fußball spielt und nicht ohne Grund ganz oben in der Tabelle steht. Aber wir haben in dieser Saison auch schon gezeigt, dass wir gegen die Kölner mithalten können. Sei es im Pokal, wo wir sie in der Anfangsphase dominiert haben, uns dann aber in Unterzahl und aufgrund eines unglücklichen Elfmeters geschlagen geben mussten. Sei es in der Liga, wo immer alles möglich ist. Jeder kann jeden schlagen. Wir brauchen uns vor niemandem verstecken, fahren dort mit einem guten Gefühl hin und werden unser Bestes geben.