Marius Gersbeck sitzt vor dem Laptop.
Profis | 30. März 2025, 10:00 Uhr

„Karlsruhe war die schönste Zeit“

Marius Gersbeck und Leon Jensen durchliefen die Fußball-Akademie unserer Alten Dame und trafen sich Jahre später beim Karlsruher SC wieder. Vor dem neuerlichen Duell beider Vereine am zurückliegenden Samstag im Olympiastadion baten unsere Redakteure Konstantin Keller und Erik Schmidt die beiden Profis zum Gespräch. Ein Gespräch über Erlebnisse und Erinnerungen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Clubs sowie deren einzigartige Verbindung. 

Als die beiden Profis in Karlsruhe und Berlin Platz nehmen, um ihr Doppelinterview über eine Laptopschalte zu beginnen, blüht vor den Bildschirmen schnell wieder der Flachs. Zwischen 2021 und 2023 spielten der Schlussmann und der Mittelfeldmotor gemeinsam in der Fächerstadt, wurden in dieser Zeit Freunde und sammelten in den beiden Saisons jede Menge besondere Erfahrungen. Grund genug, Jensen und Gersbeck vor dem Aufeinandertreffen zwischen Hertha und dem KSC für das extra für dieses Aufeinandertreffen herausgebrachte Stadionmagazin virtuell an einen Tisch zu bringen – und sich ausführlich über die außergewöhnliche Atmosphäre bei den Duellen, die beiden blau-weißen Fußballstandorte und besondere Momente mit beiden Vereinen zu unterhalten. 

Marius, Leon, danke, dass ihr euch die Zeit nehmt. Welche Anekdote fällt euch zuallererst ein, wenn ihr an den jeweils anderen denkt?  
Gersbeck: (lacht) Ich habe mir auf Auswärtsfahrten lange Zeit mit Leon das Zimmer teilen dürfen. Auf einer solchen ist uns gegen Ende einer Saison die Idee gekommen, mit der Mannschaft eine Kartbahn in der Nachbarschaft des Hotels zu besuchen. Das Ergebnis war ein cooler Nachmittag, an dem Leon nur meine Rückspiegel gesehen hat. Trotzdem spiegelt die Aktion aber auch ganz gut wider, dass man mit ihm relativ viel Spaß haben kann. 
Jensen: Ich erinnere mich da ebenfalls an eine Auswärtstour – eine der schlimmsten aller Zeiten. Wir hatten gewonnen und mussten sieben, acht Stunden zurückfahren. Die ganze Zeit am Start: DJ Gersbeck mit einer ohrenbetäubenden Musik. Da war wirklich alles dabei – nur kein guter Song (grinst)

Leon Jensen sitzt vor dem Laptop.

Leon, du bist 97er Jahrgang. Marius, du 95er. Wie eng war der Draht zu gemeinsamen Akademiezeiten in Berlin? 
Gersbeck: Da hat es tatsächlich kaum Berührungspunkte zwischen uns gegeben. 
Jensen: Es ist damals relativ selten vorgekommen, dass jüngere Spieler bei den älteren Teams mittrainiert haben. 

Welche Trainer haben euch in der Akademie am meisten geprägt? 
Jensen: Bei mir war es Michael Hartmann, der jetzt auch wieder U19-Trainer bei Hertha ist. Er hat mich, als ich zu ihm gekommen war, einfach so genommen, wie ich bin. 
Gersbeck: Wie bist du denn? 
Jensen: Ich war damals schon ein bisschen verrückt. Er hat mir immer zur Seite gestanden und viel mit mir gesprochen. Das war sehr hilfreich, ich habe extrem viel unter ihm gelernt und vor allem menschlich immer eine gute Verbindung zu ihm gehabt. 
Gersbeck: Ich hatte eine coole Zeit unter Oliver Reiß und Stefan Meisel. Von Karsten Heine, unter dem ich schon als 17-Jähriger in der U23 trainieren durfte und der eine Menge Autorität ausgestrahlt hat, konnte ich ebenfalls viel lernen. Bei den Profis war es unter Jos Luhukay ähnlich. Da stand ich als junger Spieler zwar stramm, aber es hat geholfen. 

Leon Jensen läuft im Hertha-Trikot über den Rasen.
Von 2014 bis 2016 trug Leon Jensen die Fahne auf der Brust.

Welcher Mitspieler hat euch am meisten beeindruckt?  
Gersbeck: Hany Mukhtar. Wir sind zeitgleich in die Akademie gekommen, haben alle Altersklassen zusammen durchlaufen und es am Ende auch zu den Profis geschafft.  
Jensen: Bei mir war es Bilal Kamarieh in den ganz jungen Jahren. Später fand ich Jordan Torunarigha unfassbar, auch Maxi Mittelstädt natürlich. 

Später habt ihr dann zwei Jahre beim KSC verbracht. Gab es vor Leons Wechsel Kontakt zwischen euch?  
Jensen: Nein, nicht wirklich. Ich kannte Marius zwar, war auch froh, dass ein Berliner in der Mannschaft spielt, mehr aber nicht. 
Gersbeck: Wir waren damals einfach noch nicht so dicke und haben uns wirklich erst beim KSC gefunden.  
Jensen: Genau, spätestens als wir auf Reisen zu Zimmerpartnern in der Berliner WG wurden. 

Wie sehr hat dir Marius die Eingewöhnung in Karlsruhe erleichtert? Habt ihr viel zusammen unternommen?  
Jensen: Sobald ich da war, hat er mir es definitiv leichter gemacht. 
Gersbeck: Das wurde dann mit der Zeit alles immer mehr. Wie in einer richtigen Freundschaft, die auch etwas Zeit braucht, um sich zu entwickeln.  

Erinnert ihr euch an euer erstes gemeinsames Pflichtspiel? 
Gersbeck: Ich nicht. 
Jensen: Ich schon, weil es mein Zweitligadebüt nach langer Verletzung war. In Regensburg, als wir 6:0 gewonnen haben, oder? 

Genau. Wie verlief da die Rückfahrt nach solch einem Erfolg? 
Gersbeck: Es war nicht selbstverständlich, Spiele zu gewinnen. Deswegen wurden Siege auch dementsprechend gefeiert. Dabei war relativ viel erlaubt: Wir haben mal bei McDonald’s gehalten oder ausnahmsweise einen Bierkasten bekommen. Das hat uns auch zusammengeschweißt. Ich habe als Kabinen-DJ für die Musik gesorgt. Zu späterer Stunden mussten wir die etwas leiser drehen, damit zumindest die Jungs mit Kopfhörern schlafen konnten. Von daher waren das immer ganz lustige Rückfahrten (lacht)
Jensen: Es gab wirklich viele schöne Momente. Die kann ich jetzt aber nicht alle erzählen (schmunzelt)

Marius Gersbeck begräbt den Ball unter sich.

Was schätzt ihr am anderen am meisten? 
Gersbeck: Ich habe in Leon früh das gesehen, was ich sonst vor allem bei meinen Freunden abseits des Fußballs kennengelernt habe: Loyalität. Ich konnte mich von Anfang an blind auf ihn verlassen. Er hat viele gute Eigenschaften, aber das ist mir auf jeden Fall die wichtigste. Irgendwann kamen dann andere Sachen hinzu. Beispielsweise, dass er manchmal auch ganz lustig sein kann (zwinkert). Außerdem waren wir immer ehrlich zueinander, haben uns geholfen, aber auch die Meinung gesagt und auf dem Platz angemeckert. Danach war schnell wieder alles gut. 
Jensen: Genau. Er hat mich nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern immer unterstützt. Wir haben schnell einen guten Draht gefunden. 

Marius, du bist im Sommer 2023 nach Berlin zurückgekehrt. Wie blickst du mit etwas Abstand auf deine Zeit beim KSC zurück? Wofür bist du besonders dankbar, was bleibt dir am besten in Erinnerung?  
Gersbeck: Ich kann über Karlsruhe wirklich nichts Schlechtes sagen. Das war fußballerisch die schönste Zeit, die ich bis jetzt hatte. Ich habe viel gespielt und ein gutes Ansehen genossen. Abseits des Platzes habe ich geheiratet und meine Frau und ich sind Eltern von drei Kindern geworden. Demzufolge habe ich mich einfach zu Hause gefühlt. Es gab für mich nur die Optionen: Entweder gehe ich zu Hertha zurück oder ich bleibe noch lange beim KSC. 

Wie regelmäßig habt ihr seitdem noch Kontakt? 
Jensen: Schon sehr oft. Wir telefonieren regelmäßig – für Männer sogar häufig (grinst). Außerdem schreiben wir viel über verschiedene Themen. Wenn ich in Berlin bin, dann schaue ich auch immer mal bei Marius vorbei.

Marius Gersbeck umarmt ein Staff-Mitglied des KSC.
Duelle mit dem KSC bedeuten für Marius Gersbeck auch immer ein Wiedersehen mit alte Bekannten.

Marius, tauschst du dich noch mit anderen ehemaligen Kollegen aus dem damaligen Team aus?  
Gersbeck: Ich habe schon noch gute Kontakte dorthin. Beispielsweise zu Robin Bormuth. Genauso zu Chefcoach Christian Eichner oder Torwarttrainer Markus Miller. Auch zum Umfeld: dem Zeugwart, dem Busfahrer, dem Teammanager – alles gute und herzliche Leute. 

Leon, du hast dich in Baden zu einem gestandenen Zweitligaprofi und Leistungsträger des KSC entwickelt. Wie wichtig waren der Wechsel und die bisherige Zeit dort für dich als Fußballer?  
Jensen: Extrem wichtig. Der Schritt in die 2. Bundesliga war sportlich ein riesiger, für diese Chance bin ich sehr dankbar! Darüber hinaus musste ich weit weg von zu Hause komplett alleine klarkommen, was auf persönlicher Ebene wichtig für mich war. 

Ihr habt beide große Sprünge im KSC-Jersey gemacht. Was zeichnet den Fußballstandort Karlsruhe besonders aus? Wo liegt der größte Unterschied zu Berlin?  
Jensen: Du hast sehr viel Ruhe. Die Stimmung schwankt nicht so krass, da die Medienlandschaft deutlich kleiner ist. Selbst wenn wir ein Spiel verlieren, können wir einfach weiterarbeiten. Außerdem hatte ich das Glück, durchgehend mit demselben Trainer zu arbeiten. Das war eine wichtige Konstante, um mich zu entwickeln. Wir erzielen dank dieser Ruhe und Konstanz inzwischen auch die entsprechenden Ergebnisse. 
Gersbeck: Man kann beide Vereine nicht miteinander vergleichen. Beim KSC ist alles etwas kleiner, außerdem geht es ruhiger und familiärer zu. Das Verhältnis untereinander ist dadurch intensiver. Es macht sehr viel Spaß, dort Spieler zu sein. 

Am Samstag hieß es nun für 90 Minuten mal wieder Hertha gegen den KSC, statt Hertha und der KSC. Leon, du kanntest die Konstellation schon zuvor und hast beim ersten Wiedersehen im weiten Rund Mitte November 2023 sogar zum 2:2-Endstand getroffen…  
Jensen: … leider nicht gegen Marius (lacht)

Was war das damals für ein Gefühl? Was ging dir in dem Moment durch den Kopf? 
Jensen: Das war die schönste Fußballnacht in meinem Leben! Für mich war es das erste Spiel im Olympiastadion. Dann vor dieser Kulisse, vor meiner ganzen Familie aufzulaufen – ich musste über 100 Karten besorgen. Und als der Ball dann durch dieses Ping-Pong-Tor reinging, war das ein unbeschreibliches Gefühl. Was da alles in mir abging, das kann sich keiner vorstellen! 

Leon Jensen bejubelt ein Tor im Olympiastadion.

Marius, du hast nie in einem Pflichtspiel gegen Hertha gespielt. Wie erleichtert bist du darüber?  
Gersbeck: Das wäre auf jeden Fall etwas Besonderes – wie es auch etwas Besonderes wäre, gegen den KSC zu spielen. Man kennt dort noch die ganzen Leute, und alleine das ist einfach ein cooles Gefühl. Aber: Gerade wenn man mit dem Gegenüber viel Positives verbindet, will man diese Spiele auch gewinnen. Vielleicht sogar mehr als andere. Denn es ist schöner, in so einem Spiel als Gewinner vom Platz zu gehen, und dann noch mehr Gründe zum Lachen zu haben. Jetzt hatten wir die Situation, dass es für uns um sehr viel ging und wir einen Sieg einfahren mussten. Auch deshalb musste diese Freundschaft für 90 Minuten ruhen. Danach konnten wir uns aber wieder in den Armen liegen.

In den Armen liegen als Stichwort: Wie erlebt ihr als Spieler die besondere Atmosphäre bei diesem Duell, beispielsweise wenn ihr im anderen Stadion auf den Platz kommt und nicht ausgepfiffen werdet? 
Jensen: Schon auch komisch. 
Gersbeck: Im Spiel auf jeden Fall. Gemeinsame Gesänge, kein Gegeneinander – in dieser freundschaftlichen Atmosphäre musst du dich als Spieler konzentrieren und bei dir bleiben, um alles abrufen zu können. Denn es geht um drei wichtige Punkte. 

Wie habt ihr die Duelle zwischen KSC und BSC in der Vergangenheit möglicherweise auch als Fans wahrgenommen? Wart ihr mal bei einem Spiel im Stadion? 
Jensen: Marius auf jeden Fall, oder (beide lachen)? Die letzte Erinnerung als Fan ist bei mir das Saisonfinale 2008/09, als Hertha mit Spielern wie Voronin Vierter geworden ist… 
Gersbeck: … ja, weil wir in Karlsruhe 0:4 verloren haben! Ich stand noch ein, zwei Mal in der Kurve und war dann auch bei den jeweiligen Freundschaftschoreos dabei. Einmal fiel auch der Remember Benny Cup auf meinen 18. Geburtstag, da sind die Karlsruher dann später noch zur Feier dazugestoßen. An all das habe ich sehr viele gute Erinnerungen. 

Abschließend: Was macht die Verbindung und beide Vereine so einzigartig? 
Jensen: Mir ist immer aufgefallen, dass oft die Rede von Hertha und dem KSC ist, nicht nur von einem der Clubs. Dass zwei Vereine so häufig im selben Atemzug genannt werden, habe ich bei anderen Vereinen nur selten gehört.  
Gersbeck: Das durchgehende, dass es sich nicht auf die zwei gemeinsamen Partien beschränkt. Bei fast jeder Begegnung hast du Fans des anderen Vereins da, wenn es keine Überschneidungen im Spielplan gibt. Das ist außergewöhnlich. Außerdem beschränkt sich das Ganze nicht auf Ultragruppen, sondern auch viele normale Stadiongänger und Fans können was mit dem Gegenüber anfangen. Es ist durchgängig freundschaftlich! 

von Konstantin Keller, Erik Schmidt