Niklas Wendefeuer und sein Vater.
Profis | 22. Januar 2025, 16:00 Uhr

Dieser Moment, als ich Herthaner wurde

War es der erste Schal, den eure Eltern euch auf dem Weg zum Spiel gekauft haben? War es der erste durchs Olympiastadion hallende Hertha-Fangesang, der euch nachhaltig beeindruckt hat? Oder doch die Kunststücke einzelner Blau-Weißer auf dem grünen Rasen – von Ete Beer über Marcelinho bis hin zu Marko Pantelić? Jede Herthanerin und jeder Herthaner hat einen eigenen Weg in unsere blau-weiße Familie. Unser Hauptstadtclub sucht genau diese Geschichten – diesen Moment, als ihr Herthaner geworden seid.

Lieblingsspieler Sebastian Deisler

Ein Herthaner des Nordens. Was Niklas Wendefeuer geografisch von unserer Alten Dame trennt, verbindet ihn mit seinem OFC. Über 20 Blau-Weiße sind im Fanclub. Allesamt sind sie in ganz Schleswig-Holstein verteilt. Exilherthaner, die in einem kleinen Örtchen bei Lübeck leben, dürfte es nicht all zu viele geben. „Bei uns im Norden ist eher der HSV präsent“, erklärt Wendefeuer. Doch Familienmitglieder in der Hauptstadt eröffneten ihm mit acht Jahren eine neue Welt.

Fußball begleitet den Norddeutschen schon seit der Kindheit: „Ich habe mit fünf Jahren angefangen, selbst zu spielen. Und irgendwann durfte ich dann immer die Sportschau gucken. Da wurde mir Hertha BSC im Laufe der Zeit ein Begriff“, erzählt der inzwischen 32-Jährige. Und ein gewisser Sebastian Deisler hatte es ihm angetan. „Ich fand den einfach großartig. So ein grandioser Fußballer. Deisler war ganz schnell mein absoluter Lieblingsspieler“, erinnert sich Wendefeuer. Einer der vielen Familienbesuche bei der Verwandschaft in Berlin entfachte die große Liebe: „Meine Großtante hatte damals eine Dauerkarte und wollte mich und meinen Vater einfach mal mit ins Stadion nehmen“, berichtet der gebürtige Eutiner. „Und was soll ich sagen? Dann war es einfach um mich geschehen!“

Niklas Wendefeuer und seine Großtante Renate.
Niklas Wendefeuer und seine Großtante Renate.

Feuer und Flamme für Hertha BSC

Die Spielstätte unserer Alten Dame tat ihr übriges dazu. „Dieses Olympiastadion macht was mit einem! Vor allem mit einem Kind, das zum ersten Mal sowas in echt sieht und nicht nur durch den Fernsehbildschirm“, erinnert er sich. „Es war laut, es herrschte eine tolle Atmosphäre. Die Fans haben gesungen. Ich war sofort Feuer und Flamme für das ganze Spektakel“, erzählt der Soldat von seinem ersten Besuch im weiten Rund im August 2001. "Ich war so gebannt von der hüpfenden Masse, dass ich den Anpfiff gar nicht mitbekommen habe. So geht es vermutlich vielen Kindern beim ersten Stadionerlebnis. Aber wenn man das zum ersten Mal spürt, gehört einem dieser Moment ganz allein!"

Die Partie hatte es in sich: Berlin-Brandenburg-Duell mit dem FC Energie Cottbus! Allerdings reichten die zwei Tore von Marcelinho und Michael Preetz nicht aus: „Das Spiel haben wir 2:3 verloren. Schade, aber ich hatte mich trotzdem verliebt. In den Verein, in das Stadion, das ganze blau-weiße Fahnenmeer und obwohl sie verloren hatte, auch in die Mannschaft“, erinnert sich Wendefeuer. Und dabei stand Sebastian Deisler nicht einmal im Kader. Der Name des damaligen Nationalspielers zierte selbstverständlich auch Wendefeuers erstes Hertha-Trikot. „Das habe ich mir bei diversen Trainingsbesuchen unterschreiben lassen“, verrät der heutige Bujendorfer.

Bis in die Gegenwart zählt der damalige Mittelfeldspieler zu seinen Idolen. Yıldıray Baştürk und Patrick Ebert haben sich eingereiht. Und ein weiterer Herthaner ist 2023 hinzugekommen: „Ich muss natürlich auch Fabian Reese nennen. Er ist einer der besten Spieler, die bisher aus Schleswig-Holstein gekommen sind. Das ist schon was Besonderes, so jemanden in unseren Reihen zu haben“, sagt der Herthaner.

Schneeschippen für den Abstiegskampf

Als Exilherthaner kann Wendefeuer nicht jedes Spiel im Olympiastadion verfolgen. Wenn, dann steht er aber in der Ostkurve oder sitzt mit seinem Vater auf der Gegengerade. „Ich fahre mittlerweile eher zu Auswärtsspielen. Vor allem zu Gegnern im Norden“, erzählt der Anhänger. Oder auch mal zu internationalen Highlights, wie 2017 nach Bilbao. „Das beste Stadionerlebnis war aber definitiv das Relegationsspiel beim HSV“, ordnet der leidenschaftliche Fan seine Erinnerungen ein. Der blau-weiße Schal, den er seit Kindheitstagen hat, begleitet ihn immer noch: „Den habe ich noch nie gewaschen, der ist voller Ketchup-Flecken“, berichtet er augenzwinkernd von seinem Fanartikel-Aberglauben.

Die meiste Mühe, um zu einem Spiel zu kommen, gab sich Wendefeuer aber im Winter 2010. Als er und seine Freunde zum Abstiegskracher gegen den VfL Bochum nach Berlin fahren wollten, blieben sie kurz nach ihrer Abfahrt in Schleswig-Holstein im Schnee stecken. „Wir brauchten ewig, um uns freizuschaufeln. Irgendwann konnten wir weiterfahren“, lacht er bei den Gedanken an das damalige Szenario. Alles, um am Nachmittag ein torloses 0:0 zu sehen. Aber bereits Wendefeuers Reaktion auf sein erstes Spiel im Olympiastadion zeigte ja: Das Erlebnis steht über dem Ergebnis!

von Johannes Boldt