Erwachsenwerden in blau-weiß
Diese Geschichte beginnt mit einer Rückblende. Österreich im Sommer 2021. In Leogang bereiten sich unsere Herthaner auf die bevorstehende Saison vor. Mit dabei: Tim Goller. Der 16-jährige Jungspund hat erst kurz zuvor sein Trainingsdebüt bei der Bundesliga-Auswahl gefeiert. „Das war alles überwältigend und das Team noch ein ganz anderes“, erinnert sich der Schlussmann in der Gegenwart. „Da musste ich erst einmal hineinfinden. Der Respekt war groß und ich dementsprechend zurückhaltend“, erzählt der Herthaner im Gespräch mit Redakteur Erik Schmidt.
Ende 2024 gehört der Youngster damit länger als die meisten anderen zum Kreis unserer Profis. „Es fühlt sich mittlerweile viel besser an, zumal die Mannschaft auch deutlich familiärer geworden ist“, unterstreicht Goller, der am 12. Spieltag in Darmstadt seine Saisonpremiere im Spieltagskader gegeben hat. Gleichzeitig befindet sich der inzwischen 19-Jährige aber nach wie vor in der Ausbildung. Die vergangenen Monate bescherten dem Eigengewächs dabei den einen oder anderen Meilenstein.
[>]Es war einfach cool, täglich mit Freunden zu zocken und gemeinsam erwachsen zu werden[<]
Tschüss Nachwuchsbereich, Hallo U23-Stammplatz
So endete mit dem Abitur eine herausfordernde Doppelbelastung. „Die Schule an sich fehlt mir nicht, die Zeit mit den Jungs hingegen schon. Wir hatten viele Kurse zusammen und es war immer sehr, sehr witzig. Zum Glück sehe ich die meisten noch regelmäßig im Training“, verrät der Youngster grinsend. Darüber hinaus fand für den 2005er-Jahrgang, dem beispielsweise auch Ibrahim Maza, Pascal Klemens und Sebastian Weiland angehören, die Zeit im Juniorenbereich ihren Abschluss. Ausgerechnet mit einer bitteren Niederlage: Im Halbfinale um die deutsche A-Junioren-Meisterschaft verloren unsere Blau-Weißen gegen Dortmund hauchdünn nach Elfmeterschießen. „Wenn ich jetzt wieder darüber nachdenke, ärgert es mich immer noch. Vor allem gleich mehrfach so knapp gescheitert zu sein“, sagt Goller. Im Jahr zuvor hatten ebenfalls die Schwarz-Gelben zum gleichen Zeitpunkt des Wettbewerbs die Endstation bedeutet, noch einmal zwölf Monate früher behielt beim Kampf um die nationale B-Junioren-Krone der VfB Stuttgart in der Runde der letzten Vier die Oberhand. „Diese Partien zählen natürlich trotzdem zu den Highlights. Allein die Tatsache, dass wir sie zusammen erleben konnten, machen sie zu einer super Erfahrung. Insgesamt war es einfach cool, täglich mit Freunden zu zocken und gemeinsam erwachsen zu werden“, blickt der Keeper zurück.
[>]Ich kannte die Lautstärke und Atmosphäre in Stadien schon vorher, aber auf dem Platz fühlt es sich nochmal ganz anders an.[<]
Spezielle Eindrücke in Halle & Jena
Im Anschluss folgte für den 1,93-Meter-Mann, der bereits 2017 zu unserer Alten Dame gewechselt war, die nächste Etappe auf dem Berliner Weg: Stammplatz in der U23. Von den ersten 18 Spielen der laufenden Saison verpasste unsere Nummer 43 nur drei – aufgrund höherer Verpflichtungen. Dementsprechend gebührt Goller ein entscheidender Anteil daran, dass unsere Bubis unter Chefcoach Rejhan Hasanović bislang so für Furore in der Regionalliga Nordost sorgen. Einen besonderen Coup stellte der Auswärtserfolg in Jena dar – vor über 6.000 Zuschauerinnen und Zuschauern im frisch renovierten Ernst-Abbe-Sportfeld. „Ich kannte die Lautstärke und Atmosphäre in Stadien schon vorher, aber auf dem Platz fühlt es sich nochmal ganz anders an. Es ist schon cool, als extrem junge Mannschaft vor so vielen Fans zu spielen und dann sogar zu gewinnen. In Halle war die Nervosität ein paar Wochen zuvor noch vielen anzumerken, in Jena haben wir uns dann aber gefangen“, erklärt der Torhüter, der in der Regel mit den Profis übt, aber die Abschlusseinheit im Falle des Falles bei der U23 absolviert. Das Pendeln zwischen den Teams funktioniert speziell aus einem Grund ziemlich unkompliziert: „Ich kenne die Jungs alle, da ich mit ihnen früher schon zusammengespielt habe. Vor allem die in der Abwehr und im defensiven Mittelfeld. Die Connection geht nicht weg. Ich weiß, wer wo hinläuft“, so der Absolvent unserer Fußball-Akademie.
Einst sogar als Innenverteidiger im U-Bereich unterwegs
Im Gegenzug wissen die Teamkollegen auch, dass sie das Kunstleder zu dem Mann zwischen den Pfosten jederzeit ohne Bedenken zurückpassen können. Das Spiel mit dem Fuß zählt ohne Zweifel zu Gollers Stärken. Symptomatisch: Beim erwähnten Erfolg in Thüringen schickte der Hüne zunächst filigran einen gegnerischen Angreifer ins Leere und leitete anschließend mit einem klugen Flugball den vorentscheidenden Treffer ein. „Ich habe nie besonders gezielt daran gearbeitet, aber in der U14 und U15 regelmäßig im Feld mittrainiert. Einmal durfte ich sogar in einem Pflichtspiel als Innenverteidiger ran. Bei den Profis bin ich auch immer mal wieder im Feld aktiv. Es macht mir nach wie vor Spaß“, berichtet der Schlussmann, der unter Anleitung von Andreas Menger und an der Seite von Tjark Ernst, Marius Gersbeck sowie Dennis Smarsch an sämtlichen Feinheiten des Torwartspiels feilt. „Andi hat ein Auge für das Detail. Ihm gelingt es außerdem immer wieder, uns zu pushen. So treiben wir uns gegenseitig zu Bestleistungen“, schildert der deutsche U-Nationalspieler, der erstmals in der vergangenen Saison zu Hause gegen Eintracht Braunschweig bei einem Pflichtspiel der Profis auf der Bank gesessen hatte. Seine Nervosität damals auf einer Skala von 1 bis 10? „Nervös war ich nicht, aber natürlich etwas angespannt. Vor unseren Fans zu stehen, war ein unglaubliches Gefühl. Das hat die Lust darauf, selbst im Olympiastadion aufzulaufen, noch einmal verstärkt. Ich glaube, dass ich mich auf nichts anderes mehr freue als das“, gibt der gebürtige Berliner, der schon als kleiner Junge im Hertha-Trikot über den Bolzplatz gerannt war, mit leuchtenden Augen zu. Es wäre der finale Akt des blau-weißen Erwachsenwerdens.