Kians Kampf ums Comeback
Muskelaufbau! Ein Wort, das Kian Todorovićs aktuellen Alltag prägt. Die gleichen Übungen. Wieder und wieder. Dazwischen Schweiß. Viel Schweiß. Der junge Herthaner steckt gerade mitten in der Reha. Erneut. Im vergangenen April hat sich der 17-Jährige zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit das Kreuzband im linken Knie gerissen. Nur wenige Tage im Anschluss folgte eine erste sowie knapp vier Monate später eine zweite Operation. Seitdem läuft die quälende Schufterei am Comeback 2.0. Sechs Tage die Woche ackert das große Talent, hinter dem ein äußerst herausforderndes Jahr liegt, in der Da Vinci Physiomed-Praxis am Ku'damm. „Mir geht es sehr gut, ich bin in bester Behandlung“, gibt sich Todorović im Gespräch mit unserem Redakteur Erik Schmidt auf beeindruckende Weise kämpferisch. Der Rekonvaleszent präzisiert: „In der momentanen Phase versuchen wir, viel dynamisch zu arbeiten.“ Alles, um das lädierte Gelenk so gut wie möglich zu stabilisieren. „Das Ganze ist natürlich sehr anstrengend. Aber nach den Einheiten fühlt es sich umso besser an“, verrät der Blau-Weiße, dessen Leidensgeschichte bereits im Sommer 2023 begonnen hatte.
Damals befand sich der Mittelfeldspieler, der dank seiner Kreativität und Handlungsschnelligkeit den Unterschied ausmachen kann, mit unserer U17 auf der Zielgeraden einer erfolgreichen Vorbereitung. Die zu diesem Zeitpunkt von Rejhan Hasanović gecoachten Jungs hatten in Duellen mit nationalen Spitzenteams wie Borussia Mönchengladbach oder dem FC Bayern München starke Leistungen abgeliefert. „Kian hat mit seinen schnellen Bewegungen alle schwindelig gespielt“, erinnert sich der Übungsleiter. Im abschließenden Test gegen Rot-Weiß Erfurt – unmittelbar vor Saisonstart – zog sich Todorović die so üble Verletzung erstmalig zu. „Die Diagnose war ein Schock, aber insgesamt habe ich es ganz gut weggesteckt“, erzählt der gebürtige Berliner, der 2015 vom FC Internationale in die U9 unserer Alten Dame gewechselt war. Ende Januar kehrte der Spielmacher mit der feinen Technik schmerzfrei auf den Platz zurück. Nach zahlreichen individuellen Aufbausessions ging es rund zwei Monate darauf mit der Teilintegration ins Teamtraining weiter. Kian, der zuvor nur einmal in der ohnehin übungsfreien Coronazeit wegen einer Entzündung des Schienbeinkopfes länger hatte pausieren müssen, konnte endlich wieder seiner großen Leidenschaft nachgehen.
Gefühlschaos nach dem neuerlichen Schock
Und tatsächlich knüpfte Todorović da an, wo er aufgehört hatte. Der Youngster behauptete und verteilte das runde Kunstleder wie eh und je mit größter Leichtigkeit. „Rejhan hat mich damals direkt angerufen und ist so richtig ins Schwärmen geraten“, sagt Andreas ‚Zecke‘ Neuendorf. „Kian selbst war voller Freude“, so unser Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich weiter. Das Eigengewächs unterstreicht: „Ganz am Anfang war es schon etwas komisch. Aber sobald ich den Ball hatte, habe ich das gemacht, was ich vorher auch gemacht habe. Ohne Angst. Ich habe mich bei allem sehr sicher gefühlt.“ Trotzdem kam es nur wenige Wochen im Anschluss zum zweiten Akt des Dramas. Diesmal im Training. Die Saison, die der Junge aus Schöneberg komplett verpasst hatte, war bereits beendet. „Ich habe direkt vermutet, dass es schlimmer ist“, berichtet der leidgeprüfte Nachwuchsakteur. Der Befund bestätigte die Ahnung. Neben dem Kreuzband hatte obendrein auch noch der Meniskus etwas abbekommen. „Als ich beim Arzt war, wusste ich gar nicht, was ich denken oder sagen soll. So merkwürdig es klingt: Ich hätte fast angefangen zu lachen“, beschreibt Todorović das eigene Gefühlschaos. „Jeder verarbeitet so etwas anders. Spätestens seit Beginn der Reha schaue ich nur noch nach vorne und bin voller Motivation“, fügt der Blau-Weiße hinzu.
[>]Ich stelle mir vor, wie ich reinkomme, meine Skills bringe, die Gegenspieler auseinandernehme, Pässe spiele, Tore schieße, mit meiner Mannschaft gewinne und das alles wieder zur Normalität wird.[<]
Mentaltrainer als wichtige Stütze
Dabei erhält Kian, dem sogar der einst an der gleichen Blessur laborierende Florian Wirtz beste Genesungswünsche geschickt hat, reichlich Unterstützung. Allen voran von Familienangehörigen. „Sie sind jeden Tag bei mir und helfen, wo es nur geht.“ Genauso kümmert sich aber auch unser Hauptstadtclub um seinen Ballvirtuosen mit der riesigen Pechsträhne. „Kurz vor dem ersten Kreuzbandriss haben wir mit ihm über seine Zukunft gesprochen. Obwohl er auch vieles anderes hätte machen können, hat er sich für Hertha entschieden. Nach der Verletzung haben wir ihn dann direkt gestärkt und gesagt, dass er sich keinen Kopf machen soll. Im April nun ebenfalls. Wir glauben weiterhin an ihn“, unterstreicht ‚Zecke‘. Über unseren Verein entstand außerdem der Kontakt zu einem Mentaltrainer. Mit diesem tauscht sich der 17-Jährige regelmäßig aus. Außerdem gilt es, verschiedene Aufgaben für die Psyche zu erledigen. Beispielsweise malt sich der Herthaner aus, wie es sein könnte, wieder auf den Rasen zurückzukehren. „Das mache ich jeden Abend. Ich stelle mir vor, wie ich reinkomme, meine Skills bringe, die Gegenspieler auseinandernehme, Pässe spiele, Tore schieße, mit meiner Mannschaft gewinne und das alles wieder zur Normalität wird“, erzählt das Talent, das mit Blick auf die Maßnahme verdeutlicht: „Ich spüre, wie die negative Energie aus mir herausgeht und ich stark im Kopf bleibe. Es hilft mir sehr!“
Trotz Verletzung ganz nah am eigenen Team
Darüber hinaus profitiert Kian auch durchaus von den Erfahrungen, die der Rechtsfuß während seines ersten Kreuzbandrisses gesammelt hat. Beispielsweise weiß der Nachwuchskicker besser mit dem Fußballentzug umzugehen. Dieser fällt besonders heftig aus, wenn die Nummer 10 ihren Teamkollegen beim Spielen zuschauen muss. „Ich habe dieses Kitzeln im Fuß. Anfangs war das schon schlimm, da bin ich ehrlich. Aber mittlerweile habe ich mich etwas daran gewöhnt. Ich drücke ihnen immer die Daumen und will, dass sie gewinnen“, erzählt Todorović, der im zurückliegenden Sommer von der U17 in die U19 aufgerückt ist und einen engen Kontakt zu den Jungs aus dem neuen Team sowie Chefcoach Michael Hartmann pflegt. Heimduelle verpasst der Blau-Weiße nie, genauso wenig Mannschaftsunternehmungen. Zudem sieht der Zwölftklässler die meisten Mitspieler täglich in der Schule. „Auch meine Freunde und Mannschaftskameraden stehen immer an meiner Seite, das tut gut“, verrät der Berliner, der zusammenfasst: „Die ganze Unterstützung ist nicht selbstverständlich. Speziell von Hertha. Ich finde es krass, welches Vertrauen der Verein mir auch nach dem zweiten Kreuzbandriss schenkt. Ich muss mir keine Sorgen machen und kann mir die nötige Zeit lassen. Deswegen gebe ich in jedem Training einhundert Prozent, selbst an schlechteren Tagen. Da muss ich dann einfach durch!“
[>]Ich habe die große Hoffnung, dass der Junge allen, die eine schwere Verletzung haben, aufzeigt: Scheißegal, du kannst zurückkommen![<]
Ein freier Platz in ‚Zeckes‘ Büro
Auch aufgrund dieser Einstellung lobt ‚Zecke‘ den Youngster in höchsten Tönen. „Kian ist ein besonderer Junge, ein ganz feiner Kerl. Seine fußballerischen Fähigkeiten sind angeboren. Es gibt Spieler, die nicht dieses große Talent haben, aber zuhören und sich entwickeln. Er hat dieses große Talent, hört trotzdem zu und konnte sich zuletzt nur nicht entwickeln, weil der Körper gestreikt hat“, so der 49-Jährige, der Todorović einen Platz in seinem Büro freigemacht hat. Die Idee hinter dem geplanten Austausch: Kian berät ‚Zecke‘ aus der Perspektive eines jungen Spielers und ‚Zecke‘ führt Kian an die Abläufe der Profis heran. „Wir wollen ihn in allen Themen ein Stück weit mitnehmen. Damit er merkt, dass er hier etwas schaffen kann“, betont der Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich. Denn die Rückkehr auf das Grün bleibt natürlich das absolute Ziel. „Ich habe die große Hoffnung, dass der Junge allen, die eine schwere Verletzung haben, aufzeigt: Scheißegal, du kannst zurückkommen“, stellt ‚Zecke‘ unmissverständlich klar. „Ich wünsche Kian einfach, dass er gesund wird und das Vertrauen in seinen Körper zurückgewinnt. Dafür kann er sich alle Zeit der Welt nehmen. Er soll dann auf den Platz gehen, wenn er sich bereit fühlt. Der Kopf spielt dabei die wichtigste Rolle. Obwohl er nun zwei wertvolle Jahre verloren hat, liegen noch viele weitere vor ihm“, weiß der Ex-Profi.
Erkenntnisse und Vorhaben
Für 2025 lauten Todorovićs Ziele deshalb: Zurückkommen, gesund bleiben und gemeinsam mit der Mannschaft perfomen. Bis dahin ist von diesem so begabten Akademieakteur noch viel Fleiß gefragt. Doch Kian weiß, wofür er all die Anstrengungen in Kauf nimmt. „Wenn ich wieder da bin, will ich jedes Training genießen“, zeigt sich der 17-Jährige entschlossen. Denn auch in dieser anspruchsvollen Lebensphase hat der Herthaner einiges gelernt: „Ich kann die Situation nicht mehr ändern, aber das Beste aus ihr machen. Man sollte nie den Glauben an sich selbst verlieren – und ich glaube ganz fest daran, dass ich es schaffen werde!“