Richard Wieland zeigt seinen Hertha-Schal.
Fans | 15. Dezember 2024, 10:30 Uhr

Dieser Moment, als ich Herthaner wurde

War es der erste Schal, den eure Eltern euch auf dem Weg zum Spiel gekauft haben? War es der erste durchs Olympiastadion hallende Hertha-Fangesang, der euch nachhaltig beeindruckt hat? Oder doch die Kunststücke einzelner Blau-Weißer auf dem grünen Rasen – von Ete Beer über Marcelinho bis hin zu Marko Pantelić? Jede Herthanerin und jeder Herthaner hat einen eigenen Weg in unsere blau-weiße Familie. Unser Hauptstadtclub sucht genau diese Geschichten – diesen Moment, als ihr Herthaner geworden seid.

Rin ins Wohnzimmer mit Pál Dárdai

Wenn die kraftvolle und kehlige Stimme von Fabian von Wachsmann wenige Minuten vor dem Anpfiff eines jeden Heimspiels durchs Olympiastadion hallt, begrüßt unser Stadionsprecher nicht nur die Berliner, sondern auch Brandenburger und damit genauso ihn: Richard Wieland. Herthaner aus Rathenow. Westbrandenburg, eine knappe Autostunde von unserer Spielstätte entfernt. Der Fan erlebte den Kindheitstraum vieler Jungs und Mädchen.

Im September 2008 war Wieland sieben Jahre alt und man muss sich die damaligen Begebenheiten etwa so vorstellen, dass der Zufall ihn zur Alten Dame gebracht hatte. Sein Vater war Fan von Borussia Dortmund, sein Bruder Anhänger des VfL Wolfsburg - er selbst hing noch etwas in der Luft. Bei einer Trainingseinheit seines Heimatvereins Optik Rathenow fragte eines Tages der Trainer, ob sich jemand aus der Mannschaft vorstellen könne, als Einlaufkind bei Hertha BSC dabei zu sein. „Da kamen mir natürlich direkt die großen Namen in den Sinn. Andriy Voronin, Marko Pantelić, Arne Friedrich. Darauf hatte ich Lust!“, erinnert sich Wieland.

Ein paar Tage später war es soweit. Am 16. September 2008 traf unser Hauptstadtclub in der 1. Runde des UEFA-Cups auf den damaligen irischen Vizemeister St. Patrick‘s Athletic. Während sich Wielands Angehörige im Familienblock niederließen, hielt er sich selbst etwas nervös und aufgeregt im Spielertunnel auf. „Ich stand dort mit den anderen Kindern und keiner wusste so richtig, was zu tun war. Uns allen ging es so, dass wir unbedingt mit einem Herthaner auf das Spielfeld laufen wollten. Und dann hatte ich schon überlegt, ob der Gang mit einem Spieler des Gegners nicht enttäuschend wäre“, gibt der junge Mann einen Einblick in seine damaligen Gedanken.

„Die Situation wurde dann aber recht einfach gelöst. Ein Betreuer hat praktisch eigenmächtig unsere Gruppe geteilt. Die eine Hälfte nach links, die andere nach rechts. Und auf einmal stand Pál Dárdai direkt neben mir und nahm mich an die Hand“, erinnert sich Wieland. „Dann dieses Lächeln. Das Lächeln, was so frech und herzerwärmend zugleich ist. Was wir von Pál Dárdai alle kennen“, berichtet der 23-Jährige. Natürlich sei der Ungar direkt darauf wieder voll fokussiert gewesen, aber diese kurze Geste riss den Rathenower mit. Ein wohlig warmes Gefühl durchfloss seinen Körper.

Pál Dárdai und Richard Wieland als Einlaufkind laufen auf den Platz.

Erinnerungen im Ronny-Trikot

„Auf einmal stand ich auf dem Platz vor Pál Dárdai, habe meinen Eltern zugewunken und mich einfach nur gut gefühlt. Und da wusste ich, dass ich hier gerade mein Herz an einen Verein verloren habe“, gesteht Wieland. Das Spiel gewannen unsere Berliner mit 2:0. Und Wieland blieb. Mit seiner Familie besuchte der Anhänger in den nächsten Jahren das eine oder andere Spiel. 2019, als er gerade volljährig geworden war, wurde er zum Kurvengänger. Die Ostkurve hatte es ihm angetan. Und nach den früheren Legenden kann sich Wieland aktuell am besten mit Márton Dárdai identifizieren. „Ich bin selbst Innenverteidiger und er ist da ein cooles Vorbild“, begründet er seine Zuneigung. Ein weiterer Lieblingsspieler ist Gustav Christensen: „Den finde ich einfach geil!“

Eigene Prüfung nach der überstandenen Relegation

Der Physiotherapeut schwelgt in Erinnerungen, wenn er von seinen Erlebnissen im blau-weißen Trikot mit Ronny-Flock, was er seit 2011 besitzt, berichtet: „Die Pokalspiele gegen Dresden und HSV waren besonders intensiv, der Abstieg gegen Bochum war hart. Das Tor in der Nachspielzeit tat sehr weh.“ Mittlerweile versucht Wieland jedes Heim- und Auswärtsspiel zu besuchen. Dafür ist er auch bereit, seine eigenen Leistungen aufs Spiel zu setzen: „Am Tag nach dem Relegationsspiel gegen den HSV hatte ich eine Prüfung. Ich war erst nachts um 03:00 Uhr zu Hause und habe auf dem Rückweg im Auto gelernt. Mit dem einen oder anderen Bier intus war das nicht ganz ideal“, erinnert er sich. „Aber egal, Hertha hatte den Klassenerhalt gesichert und das zählt“, schmunzelt Wieland, der obendrein dann auch noch die Prüfung bestand!

Zurzeit findet der Brandenburger die 2. Bundesliga interessanter als das Oberhaus. „Dennoch wäre ein Aufstieg sehr schön! Und irgendwann habe ich auch wieder richtig Bock auf Europa“, gibt er einen hoffnungsvollen Ausblick. „Allerdings muss ich zugeben, dass das mein Portemonnaie wahrscheinlich sehr stark belasten würde“, lächelt er augenzwinkernd und erinnert dabei ein wenig an Pál Dárdai - vor all den Jahren im Spielertunnel.

von Johannes Boldt