Marleen Hagedorn und ihr Bruder Marius.
Fans | 8. Dezember 2024, 15:00 Uhr

Dieser Moment, als ich Herthanerin wurde

War es der erste Schal, den eure Eltern euch auf dem Weg zum Spiel gekauft haben? War es der erste durchs Olympiastadion hallende Hertha-Fangesang, der euch nachhaltig beeindruckt hat? Oder doch die Kunststücke einzelner Blau-Weißer auf dem grünen Rasen – von Ete Beer über Marcelinho bis hin zu Marko Pantelić? Jede Herthanerin und jeder Herthaner hat einen eigenen Weg in unsere blau-weiße Familie. Unser Hauptstadtclub sucht genau diese Geschichten – diesen Moment, als ihr Herthaner geworden seid.

Liebe auf den ersten Blick

Wenn die noch nicht einmal vier Jahre alte Tochter in einem RBB-Beitrag im Fernsehen das Olympiastadion wiedererkennt und unbedingt noch einmal hingehen möchte, hat man als Mutter vermutlich nicht allzu viel falsch gemacht. Gute 24 Jahre früher sah Marleen Hagedorn die Spielstätte zum ersten Mal selbst und verliebte sich sofort. „Dieses große, weite Rund. Dieses Flair. Alles riesig. Überall Fahnen“, beschreibt Hagedorn nostalgisch den ersten Schritt in Herthas Wohnzimmer. Knappe zwei Stunden später feierte sie am 2. Dezember 2001 einen viel umjubelten 2:1-Heimsieg gegen den FC Bayern München.

Zecke & Pál veredeln das Erlebnis

Ein ideales Spiel um sich in die Mannschaft, das Stadion und den Verein zu verlieben. Und das im kalten Dezember, während sich das Olympiastadion gerade für die WM 2006 im Umbau befand. Hagedorn war damals gerade neun Jahre alt und mit einer Gruppe aus der Schule für sozial benachteiligte Kinder zum Spiel eingeladen worden. Organisiert hatte das damals die Zwischenzeit gGmbH, ein Träger der freien Jugendhilfe in Friedrichshain-Kreuzberg. „Es war so schön! Ich glaube, wir haben damals auf der Gegengerade gesessen und durften die ganze Zeit Fahnen schwenken“, erinnert sich Hagedorn. „Und dann haben auch noch Zecke und Pál die beiden Tore geschossen und damit einfach einen Sieg gegen die Bayern klargemacht“, freut sie sich heute noch.  

Die ganze Familie angesteckt

Nach dem Spiel war es um sie geschehen. Die Alte Dame ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Aber wie geht ein neunjähriges Mädchen damit um, wenn sich ansonsten aus der Familie niemand wirklich für den Verein oder gar für Fußball interessiert? „Mein Papa fand damals Ebbe Sand ganz cool und hat mal hier und mal da mit verschiedenen Vereinen sympathisiert. Zu Hertha habe ich ihn dann gebracht“, berichtet Hagedorn. Und so wurde es zur gemeinsamen Familienattraktion. „Ich hatte meine Eltern dazu überredet mit mir hinzugehen und dann saßen wir über Jahre im Familienblock. Später kam dann auch irgendwann mein kleiner Bruder mit“, erinnert sich die 33-Jährige. Der erste Schal durfte in der Zeit natürlich nicht fehlen. „Der Stand, an dem ich ihn bekommen habe, wirkte – im Nachhinein betrachtet – nicht wirklich seriös“, erzählt sie belustigt. Aber sei‘s drum, nach wie vor hat sie das gute Stück Stoff und hält es in Ehren. Das eine oder andere Trikot kam im Laufe der Zeit dazu. „Ein besonderes fällt mir da ein. Das gelbe Ausweichtrikot aus der Saison 2005/06. Mit Arcor als Sponsor. Das fand ich zum Beispiel ganz cool damals“, gibt sie zu.

Marleen Hagedorn und ihre Mutter sitzen im Berliner Olympiastadion.
Marleen Hagedorn und ihre Mutter sitzen im Berliner Olympiastadion.

Nachdem sie ihre Eltern und ihren Bruder zu Stadiongängern mit Sitz im Familienblock gemacht hatte, verließ sie ihre Familie in dem Kontext auch wieder. Mit etwa 14 Jahren zog sie mit einer Freundin in den Oberring. „Wir wollten einfach mehr von der Stimmung aufsaugen, hatten Lust zu singen, zu feiern, einfach Emotionen rauszuschreien“, erklärt die heutige Lichtenbergerin den Schritt. Später nahm sie ein Freund dann direkt mit in die Ostkurve, wo sie Jahre lang blieb. Ihr damaliges Ritual: Bier! Und dazu eine große Brezel. Das Stadionheft durfte damals auch nicht fehlen. „Sobald es kälter wurde, wurden die alten, blau-weißen Weihnachtsmützen ausgepackt“, lacht sie.

Intensiv, emotional, spaßig & traurig

„Das waren wahnsinnige Zeiten. Ich habe dort so viele Menschen kennengelernt. Das war intensiv, das war emotional, das war spaßig und traurig“, fasst sie in Erinnerungen schwelgend die Lebensphase zusammen. Doch nicht nur die Profis hatten es ihr angetan. Auch die Jugendteams verfolgte sie und tut es auch in der Gegenwart. „In der U23 habe ich damals schon die Boateng-Brüder, Patrick Ebert oder auch Chinedu Ede spielen sehen, bevor sie überhaupt Profis wurden. Das hat man damals schon gesehen, dass aus denen mehr wird“, berichtet sie.

Besondere Begegnungen mit Kay Bernstein & Gábor Király

Und inzwischen? „Mittlerweile habe ich viele Verpflichtungen. Allen voran meine kleine Tochter. Da fehlt die Zeit, um ins Stadion gehen zu können. Die Spiele verfolge ich deshalb mittlerweile eher vom Sofa aus“, erzählt Hagedorn. Vom Verein verabschiedet hat sie sich aber nie. „Bei der Feier zu Herthas 130. Geburtstag war ich mit meiner Familie. Da hat meine Tochter zum ersten Mal erlebt, was es bedeutet, Herthanerin zu sein. Wir haben Gábor Király auf dem Rasen erlebt und vor allem Kay Bernstein getroffen. Er stand einfach da in ganz normalen Klamotten und hat mit uns gequatscht. Das war etwas sehr besonderes für mich“, berichtet Hagedorn von dem Tag. „Da hat meine Tochter auch das erste Mal das Olympiastadion gesehen“, erzählt sie. „Demnächst wollen wir mal wieder alle zusammen ins Stadion. Die Kleine freut sich schon sehr. Vor kurzem habe ich sogar eine Mitgliedschaft für sie beantragt“, berichtet Hagedorn. Nur noch Ohrenschützer müssten besorgt werden. Und dann dürften beim nächsten RBB-Beitrag noch weitere Erinnerungen hochkommen.

von Johannes Boldt