„Das war die Kirsche auf der Torte“
Kevin Sessa brauchte Geduld, ehe er nach dem Heimsieg gegen Braunschweig zum ersten Mal eine der schönsten Erfahrungen machen durfte, die ein Hertha-Profi im Berliner Olympiastadion erleben kann. Den Applaus von den Rängen beim Dank für die Unterstützung – und den abschließenden gemeinsamen Jubel in der Ostkurve. „Das war ein megageiles Gefühl. Ich habe mich schon vor dem Spiel riesig gefreut, endlich zu Hause starten zu dürfen – und dann auch noch nach einem Sieg vor der Kurve zu feiern, das war die Kirsche auf der Torte“, strahlt unsere Nummer 8 im Gespräch mit unserem Redakteur Konstantin Keller. Im Interview spricht der Mittelfeldmann außerdem über ein besonderes anstehendes Spiel, Parkplatzsuchen in Berlin und den wichtigen Rückhalt seines Bruders.
Sess, danke dass du dir die Zeit nimmst! Gegen Braunschweig bist du erstmals als Herthaner von Anfang an ins Berliner Olympiastadion eingelaufen. Was ging dir durch den Kopf, als du das Spielfeld betreten hast?
Das war ein megageiles Gefühl, gerade, weil es auch noch ein Abendspiel war. Ich habe mich schon vor dem Spiel riesig gefreut, endlich zu Hause starten zu dürfen – und dann auch noch nach einem Sieg vor der Kurve zu feiern, das war die Kirsche auf der Torte (lächelt)!
Lass uns mal etwas zurückblicken. Im Sommer bist du trotz deiner Verletzung ins Trainingslager gereist. Wie schwierig war es, die Mitspieler beim Ackern zu sehen und selbst nicht mitarbeiten zu dürfen?
Das war auf jeden Fall besser, als zu Hause die Decke anzustarren und sich noch mehr Gedanken zu machen. So habe ich die Mannschaft besser kennengelernt und sie auf dem Platz beobachten können, das hat mir geholfen. Ein, zwei Wochen nach dem Wechsel direkt raus zu sein, ist einfach ein beschissener Start. So ist es schwieriger, als wenn man jeden Tag in die Kabine kommt, ein paar Späße macht und dann auch in den Spielen das Gefühl entwickelt, füreinander da zu sein. Jetzt, wo ich wieder dabei sein kann, merke ich Tag für Tag: Es ist eine geile Truppe! Ich habe Spaß, ich habe den Eindruck, dass die Leute auch Spaß an uns haben – und trotzdem wissen wir, worauf es am Wochenende ankommt.
Im Sommer hast du im ersten Interview bei uns gesagt, dass du step by step in Berlin ankommen möchtest – wie fällt dein Zwischenfazit nach einigen Monaten in der Hauptstadt aus? Hast du dich schon eingelebt?
Tatsächlich, ja! Durch die Verletzung hatte ich etwas mehr Zeit, mich umzuschauen. Mein Bruder, der schon ein Jahr hier lebt und den ich öfters besucht habe, hat mir auch einige Dinge gezeigt: Wir waren am See, viel Essen und haben einiges ausprobiert. So habe ich Berlin bisher sehr gut kennenlernen können.
Hast du schon bestimmte Lieblingsplätze entdeckt?
Der Boxhagener Platz in Friedrichshain! Mein Bruder hat dort gewohnt. Das ist einfach ein schöner Platz, der unheimlich lebendig ist und mir deshalb gut gefällt. Den Rosi (Rosenthaler Platz, Anm. d. Red.) mag ich auch extrem, man kann dort sehr schön sitzen. Wobei ich natürlich im Sommer gekommen bin und schon gehört habe, dass Berlin im Winter ein anderes Gesicht hat – ich bin gespannt. Was mir auch noch einfällt, ist das Maybachufer: Wenn dienstags Markt ist und man dort rumspazieren kann, ist das auch einfach toll.
Du bist offenbar schon ein bisschen rumgekommen! Wie sehr hat dein Bruder, mit dem du ja zusammenwohnst, die Eingewöhnung hier erleichtert?
Er war und ist nach wie vor eine große Hilfe! Nicht nur, dass er die Stadt schon länger kennt, er ist auch sechs Jahre älter als ich und weiß, worauf es im Leben und im Fußball ankommt. So unterstützt und pusht er mich überall!
Und wer macht mehr im Haushalt?
Sicher er! Wir teilen uns den Part schon, aber insgesamt ist er in dem Thema schon mehr drin.
Du hast im Stream bei Dennis erzählt, dass du dich anfangs auch viel mit Öffis und Fahrrad durch die Stadt bewegt hast. Wie hast du das erlebt?
Sowas geiles, wirklich! Schon bevor ich hier unterschrieben habe, war ich wie gesagt einige Male bei meinem Bruder zu Besuch und bin dann mit den Öffentlichen durch die Stadt gefahren. Er hat kein Auto, ich in den ersten Monaten nach meinem Wechsel auch nicht. Zuerst habe ich deshalb ein Fahrrad gekauft, bin aber noch mehr mit der Bahn gefahren. So erlebt man Berlin einfach noch einmal ganz anders als mit dem Auto. Im Sommer war es teilweise ziemlich eng – und so manchmal auch ziemlich warm (lacht). Aber alles entspannt!
Inzwischen fährst du einen Smart – wie läuft damit so die Parkplatzsuche, die ja in Berlin durchaus mal dauern kann?
Perfekt! Ich brauche kein besonderes Auto und wollte mir einfach keine Gedanken über Parkplätze machen, wenn ich irgendwo hinfahre. Und jetzt park ich vorwärts, rückwärts, diagonal, schräg, auf dem Kopf… ich komm in jede Lücke (schmunzelt).
Lass uns wieder aufs Sportliche gucken! In den Testspielen gegen Zehlendorf und Zwickau hast du bereits zwei Mal per direktem Freistoß getroffen. Woher kommt diese Stärke? Hattest du dabei Vorbilder?
Als ich 15, 16 war, bin ich gefühlt jeden Tag mit dem Ballsack auf den Bolzplatz gegangen und habe mit meinem Cousin zusätzlich trainiert. Schießen, Spaß haben – das war wichtig für mich und die Stärke, die ich dabei entwickelt habe, ist zum Glück dageblieben. Bestimmte Vorbilder hatte ich dabei aber nicht.
Für den einen oder anderen bist du inzwischen selbst eins. Du hast 2018 mit 17 Jahren deine Premiere im Trikot des 1. FC Heidenheim gefeiert – bis heute stand für den Bundesligisten aus Baden-Württemberg kein jüngerer Profi auf dem Rasen. Nach seinem Debüt gegen Elversberg hast du Bobo Mamuzah Lum vor der Kurve noch einmal in den Arm genommen – hast du in dem Moment an deinen eigenen Weg denken müssen?
Natürlich! Ich habe ihm ein paar Worte mit auf den Weg gegeben, dass er sich das anschauen, es aufsaugen und die Zeit genießen soll – denn die geht schnell rum. Dann habe ich ihn zu seinem ersten Spiel beglückwünscht und ihm nochmal gesagt, dass er so jeden Tag weitermachen muss, dann kommt er noch sehr weit. Ich finde ihn überragend, auch als Mensch ist er lieb. Und als Spieler hat er mich irgendwie an mich selbst erinnert, deshalb war mir das wichtig (lächelt).
Du stehst inzwischen bei über 120 Spielen in der 1. und 2. Bundesliga, einige besondere Momente inklusive. Wie gerne übernimmst du als gestandener Profi schon Verantwortung für jüngere Mitspieler?
Ich gebe gerne Tipps, ich nehme aber auch gerne Tipps von älteren Spielern an, die mir weiterhelfen wollen! Aber stimmt, ein bisschen was habe ich inzwischen auch schon erlebt, zum Beispiel den Aufstieg mit Heidenheim. Das war eine Explosion von Gefühlen, nach dem dritten Tor konnte ich gar nicht mehr jubeln, sondern bin einfach nur auf den Rasen gefallen und mir kamen die Tränen. Das war wirklich unglaublich. Ich helfe mit diesen Erfahrungen, wo ich kann, und übernehme dann auch gerne Verantwortung.
Lass uns zum Abschluss noch einmal auf das sportliche Tagesgeschäft schauen. Zuletzt habt ihr gegen Eintracht Braunschweig einen wichtigen Heimsieg eingefahren. Du hast in der Vergangenheit betont, dass eure Abläufe auf dem Feld noch etwas Optimierungszeit benötigen werden. Was läuft aus deiner Sicht schon gut, wo müsst ihr euch noch steigern?
Es ist einfach insgesamt ein Prozess. Wir haben viele Neue, gerade im Zentrum. Micka, Ibo, Miki, ich… wir müssen uns alle noch kennenlernen. Aber sobald wir uns besser gefunden haben, glaube ich, dass wir zusammen viel erreichen können, und ich sehe uns da auf einem sehr guten Weg! Am Ende der Saison wird wichtig sein, wie wir als Mannschaft gemeinsam agieren. Ich kenne die zweite Liga und glaube, dass das entscheidend ist.
Erst wartet das Kräftemessen in Karlsruhe, dann kommt für dich ein ganz besonderes Duell auf uns zu: Pokalspiel gegen Heidenheim, deinen alten Club. Fliegen schon WhatsApp-Nachrichten hin und her? Wie groß ist die Vorfreude, wie speziell wird die Partie für dich?
Mit ein, zwei Leuten habe ich schon geschrieben und freue mich natürlich auf die Gesichter. Heidenheim war mein Verein und ich bin dankbar für alles: Dass ich dort mit 17 mein Debüt geben, zum Profi werden und so viel erleben und lernen durfte! Dort bin ich vom Kind zum Mann geworden, der Club ist mein zweites Zuhause geworden.
Abschließend: Was hast du dir für die kommenden Wochen und Monate vorgenommen?
Fit und gesund zu bleiben! Das steht an erster Stelle. Alles andere kommt von selbst, wenn man gut arbeitet. Ansonsten möchte ich gar nicht so weit vorausblicken. In Heidenheim habe ich gelernt, von Spiel zu Spiel zu schauen, jede Woche hart zu arbeiten, das zu zeigen, was wir können. Wenn wir das schaffen und gut spielen, kann man sich selbst denken, was passieren kann…