„Wer emotionalisieren will, muss emotional sein!“
Sie sind die Stimmen des Olympiastadions und haben Generationen von Fans durch Heimspiele begleitet: Unsere Stadionsprecher Fabian von Wachsmann, Udo Knierim und Jens Kerner moderieren, informieren und unterhalten – Knierim seit nun mehr über 25, Kerner und von Wachsmann bereits seit fast 30 Jahren! Anlässlich des gemeinsamen Jubiläums hat sich unser Hauptstadtclub zum Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf etwas einfallen lassen. Bereits zuvor haben unsere Redakteure Erik Schmidt und Konstantin Keller das Trio zum ausführlichen Gespräch getroffen. Über Anfänge und Aussetzer, gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen – und einen Arbeitstag, den keiner der drei wohl je vergessen wird.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt! Zum Einstieg: Wie seid ihr zu euren Posten gekommen?
Kerner: Fabi und ich waren bei Radio Energy, als Manfred Zemaitat, Herthas damaliger Präsident, ihn angesprochen hat: Ob wir nicht dafür sorgen könnten, dass die Atmosphäre im Stadion so wie beim Eishockeyclub BSC Preußen werden würde?
von Wachsmann: Wir waren dort für die Musik und die Jingles zuständig, aber nicht als Stadionsprecher…
Kerner: … Fabi wollte den Job aber nicht alleine machen – so sind wir reingeschlittert.
Knierim: Ich bin auch über Energy reingekommen, war dort Praktikant und hatte mein Bewerbungsgespräch bei Fabi. Währenddessen hat er keine Miene verzogen, ich ging da raus und dachte: „Ok, das hätte ich mir sparen können!“ (schmunzelt) Schließlich sagte er mir aber, dass ich anfangen kann. Danach habe ich ein Volontariat gemacht und am 1. November 1998 meinen ersten Arbeitstag gehabt. Hertha spielte gegen TeBe im Pokal, als damaliger Medienpartner hatte Energy eine kleine Bühne im Umlauf des Olympiastadions, ähnlich wie heute 94,3 rs2. Plötzlich hieß es, dass derjenige, der dort sonst moderierte, nicht da sei. Also sollte ich mitfahren und übernehmen. Das lief gut, anschließend habe ich den Job regelmäßiger gemacht. Im Sommer meinte Fabi dann zu mir, ob wir nicht zusammen im Stadion die Doppelmoderation im Innenraum übernehmen sollen, mit Jens auf der Tribüne. Das war damals noch relativ selten, diente uns aber auch als Sicherheit, falls mal einer von uns ausfällt…
von Wachsmann: … zumal das Programm immer komplexer und umfangreicher wurde. Da war es unrealistisch, dass jemand einfach mal so einspringt, wir brauchten eine zweite Person, die voll im Thema war. Jens ist ohnehin eine Institution in diesem Stadion.
Wart ihr schon Fans und direkt entsprechend emotional involviert?
von Wachsmann: Wir alle waren nicht direkt glühende Herthaner, als wir den Job begonnen haben. Aber inzwischen sind wir seit vielen, vielen Jahren emotional dermaßen verhaftet, dass auch das eigene Privatleben verhagelt ist, wenn es mal nicht bei Hertha läuft.
Kerner: Das geht soweit, dass unsere Familien bei Planungen schon immer genau prüfen, ob Hertha an dem Wochenende spielt (lächelt).
von Wachsmann: Zumal wir ja schlecht sagen können, dass wir zu einem Heimspiel einfach mal nicht kommen…
Bevor wir darüber sprechen, wollen wir mehr über euer Debüt erfahren! Fabi, Jens, im November 1994 wart ihr zum ersten Mal im Einsatz. Wie gut erinnert ihr euch noch an euren Einstand mit dem Mikrofon? Wie lief das?
von Wachsmann: Das war geil! Schwierig war nur, dass die Presse gefragt hat, wer denn diese Anfänger gewesen seien. Wir hatten einen neuen Ansatz gewählt, mit Jingles und so weiter. So saßen Jens und ich unterm Dach und haben alles abgelesen.
Kerner: Wir kamen vom Radio und hatten entsprechende Technik dabei – und dann kommst du an und findest in der Sprecherkabine einen Doppel-Kassettenrekorder vor. 50 Meter weiter saßen im Technikraum Wolfgang und Wolfgang, zwei Stadtangestellte kurz vor der Rente, die einen Plattenspieler mit zwei Singles hatten: „Blau-weiße Hertha“ und „Hertha, Hertha, ei ei ei…“ So sind wir losgelaufen. Als erstes haben wir gesagt: Wir brauchen Hertha-Songs. So entstand auch das Ritual mit „Nur nach Hause…“.
Davon müsst ihr bitte berichten!
Kerner: Fabi, Manne Sangel, Michael Brodhun, der damalige Fanbeauftragte und ich haben nach blau-weißen Songs gesucht. Unter anderem erinnerte sich jemand daran, dass Frank Zander im Vorjahr so einen starken Song beim Pokalhalbfinale der Hertha-Bubis gesungen hatte. Wir haben Frank direkt kontaktiert, er hat uns das Lied zur Verfügung gestellt. Zum ersten Mal haben wir es dann beim internationalen Hallenturnier in der Deutschlandhalle gespielt, 1994 oder 1995. Wir hatten eine Jinglemaschine – eine Keyboardtastatur, verbunden mit einem PC. Da haben wir auch den Refrain des Liedes unter eine Taste gelegt – und es war, als hätten die Hertha-Fans nur darauf gewartet. Sofort gingen die Schals hoch. Daraufhin haben wir es in der Rückrunde auch im Stadion gespielt. Es hat auch niemanden gestört, das in den ersten zwei Jahren immer eine Pokalversion im Stadion lief. Man kann wirklich sagen, dass das eine Hymne ist, die die Fans zur Hymne gemacht haben.
Knierim: So muss es auch sein. Wenn da etwas von außen reingedrückt wird, spürt man das.
Authentizität ist nicht nur bei einer Hymne wichtig, sondern auch in eurem Job. Was zeichnet einen guten Stadionsprecher in euren Augen noch aus?
Kerner: Ich glaube, da müssen wir zwischen zwei Funktionen unterscheiden: Einmal dem, was die beiden (zeigt auf Fabi und Udo) machen. Bei mir ist wichtig, dass die Zuschauer Vertrauen haben, dass alles läuft, wenn sie im Stadion sind. Sie müssen die Sicherheit haben, dass dort oben auf der Tribüne Menschen sitzen, die die Lage unter Kontrolle haben. Diese Sicherheit auszustrahlen, in den Texten alle Anforderungen von Verein und DFB zu erfüllen und gleichzeitig nicht aufgesetzt zu klingen, ist entscheidend.
Knierim: Ein guter Stadionsprecher braucht ein Gespür für die Stimmung. Vor dem Anpfiff geht es darum, die Leute zu unterhalten – unaufdringlich und mit einer Prise Humor für eine gute Zeit im Stadion zu sorgen und die Menschen einzustimmen. Das gelingt eben auch, indem ich die Leute in meine eigene Gefühlswelt mitnehme. Ich sehe mich als Fan! Nach dem Spiel muss man dann schauen – oft nimmt man die Leute auch mal moderativ in den Arm. Wichtig ist, dass es immer sportlich fair bleibt. Und: Man muss sich seiner Rolle bewusst sein. Wir Stadionsprecher sind ein kleiner Bestandteil des Spieltages und sollten uns nicht größer machen, als wir sind – auch, wenn wir vor 70.000 Menschen sprechen und moderieren.
von Wachsmann: Das Allerwichtigste: Man muss es sein. Wenn ich Menschen emotionalisieren will, muss ich selbst emotional sein. Es muss echt und glaubwürdig sein. Wenn ich den Job mache, verstelle ich mich nicht und muss manchmal eher aufpassen, mich selbst zu zügeln (schmunzelt). Emotionen sind nicht immer positiv. Wenn ich zum zehnten Mal ein schlechtes Spiel gesehen habe und die Menschen enttäuscht nach Hause gehen, dann brauche ich ihnen nicht irgendeinen Mist zu erzählen. Gleichzeitig kann ich aber nicht draufhauen. Man muss einfach das sein, was man da macht. Außerdem braucht man einige Grundlagen: Eine markante Stimme, ein gewisses Register und eine gewisse Dynamik. Sonst wird es schnell langweilig. Das ist Handwerk, das man auch lernen kann. Wichtig ist auch eine gewisse Rhetorik, weil man oft um Dinge herummoderieren muss. Und zu guter Letzt: Den Willen. Ich war bei der Hochzeit meiner Schwester – aber erst, nachdem Hertha gespielt hatte.
Gutes Stichwort: Ihr verpasst nur ganz selten ein Heimspiel – was habt ihr schon alles auf euch genommen, um euren Job trotz privater Termine wahrnehmen zu können? Fabi, du bist zum Beispiel mal aus dem Urlaub ins Olympiastadion gefahren…
von Wachsmann: In den 30 Jahren gab es diverse Situationen, in denen wir unserem Umfeld einfach nicht zur Verfügung standen. Wir waren damals in Portugal, ich bin an einem Freitag zurückgeflogen, war Samstag im Stadion und bin Sonntagmorgen wieder nach Portugal gereist, weil meine Tochter an dem Tag 18 geworden ist. Montag war der Urlaub dann vorbei und es ging für uns zurück. Sowas kam öfter vor. Ich glaube, insgesamt habe ich sechs Mal gefehlt.
Knierim: Ich komme gebürtig aus Mönchengladbach und bin mal an Karneval samstagmorgens mit dem Zug von Düsseldorf zurück nach Berlin gereist. Dann habe ich im Stadion moderiert, bin anschließend wieder zurückgefahren und habe weitergefeiert (grinst). In diesem Jahr mussten wir den Sommerurlaub verkürzen, weil das erste Heimspiel anstand und Fabi nicht da sein konnte. Ganz wichtig ist der Rahmenterminkalender der DFL, auf den fiebere ich jedes Jahr hin – Urlaub orientiert sich bei mir an den Länderspielpausen.
von Wachsmann: Winterurlaub ist auch ein Thema für sich. Irgendwann muss man den buchen, und dann sind viele Spiele noch gar nicht angesetzt. Es ist eigentlich immer so, dass irgendwas nicht passt. Und das gilt nicht nur für die Familie, sondern auch für den Arbeitgeber! Der muss schließlich auch akzeptieren, dass wir nicht zur Verfügung stehen, wenn Hertha spielt. Sich darauf voll einzulassen, gehört auch dazu, wenn man ein guter Stadionsprecher sein möchte. Das ist kein Job, bei dem man sich viele Auszeiten oder Abwesenheiten gönnt. Dann wäre es nicht echt. Und die Spiele, bei denen man dann tatsächlich mal nicht da ist – die sind schlimm, das verursacht körperliche Schmerzen!
Was sind schöne Erlebnisse im Dienst, die euch in Erinnerung geblieben sind?
Kerner: Aufstieg, Aufstieg und Aufstieg (alle lachen).
Knierim: Für mich ist es immer schön und gleichzeitig auch ein bisschen absurd, wenn mir kleine Kinder ihr Trikot hinhalten und ich unterschreiben soll. Natürlich schmeichelt einem das enorm. Das ist irgendwo auch Bestätigung, dass man bei seiner Arbeit etwas richtig macht und die Leute unseren Ansatz mögen. Wenn die Leute sich freuen, einen zu sehen – das ist das Schönste!
von Wachsmann: Inzwischen mache ich den Job schon so lange, dass ich zuletzt immer mehr Menschen getroffen habe, die mir gesagt haben, dass ich sie schon ihr ganzes Leben als Stadionsprecher begleite. Das macht dann natürlich etwas mit ihnen, was mir lange gar nicht so bewusst war. Und das ist schön!
Knierim: Auch all die Spieler, die wir in dieser Zeit begleiten und beobachten durften. Die Wucht der Dauer wird immer größer. 25 Jahre sind eben auch schon eine lange Zeit…
Spürt ihr heutzutage trotzdem immer noch Aufregung? Wenn ja, bei welchen Spielen besonders, gerade, wenn ihr das mit euren ersten Malen vergleicht?
von Wachsmann: Beim ersten Mal waren wir sehr aufgeregt…
Kerner: … wir haben andauernd vergessen, das Mikrofon auszuschalten (beide lachen).
von Wachsmann: Ich würde sagen, das hängt von vielen Faktoren ab. Wie läuft es? Worum geht es in diesem Spiel? Wie viele Menschen kommen? In schlechten Phasen ist man anders aufgeregt als vor Highlight-Spielen – zumal wir ja alle hier am Tisch wissen, was passiert, wenn man als Herthaner zu hohe Erwartungen hat (schmunzelt). Eine Grundspannung ist aber auch gut. Denn wenn die nicht da ist, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass man auch mal Unfug redet und sich verspricht.
Knierim: Wir fahren oft zusammen zum Stadion – und spätestens, wenn man hier bei der Westend-Klause ums Eck biegt, die olympischen Ringe und die Menschen in blau-weißen Trikots sieht, packt es einen! Wenn ich im Stadion bin, habe ich einfach Bock, das ist immer wieder aufs Neue geil.
Kerner: Ich bin in erster Linie aufgeregt, weil Hertha spielt. Oben in der Skybox, wo ich sitze, kann ich es mir auch eher erlauben, mitzugehen, und schreie durchaus mal herum (grinst). Inhaltlich mache ich meine Ansagen und habe da eine ziemliche Routine, deshalb hält sich die Aufregung in Grenzen.
Gab es Versprecher, die euch in Erinnerung geblieben sind? Wie geht ihr damit um?
Knierim: Die gab es, klar. Man verliert beim Moderieren auch einmal den Faden und muss dann schauen, wie man aus dem Satz wieder herauskommt. Bei meinem ersten Spiel stand ich neben Fabi auf der Tartanbahn und dachte erstmal „Oh Gott, gleich sprichst du vor 76.000 Menschen“. Gleichzeitig habe ich dann aber gemerkt, dass es beruhigend ist, dass man so eine anonyme Masse vor sich hat. Da war es schlimmer, an der Uni ein Referat zu halten (schmunzelt).
von Wachsmann: Ich habe fast 600 Spiele begleitet. Es gibt ein paar sensible Stellen, wo die Leute ganz genau zuhören, zum Beispiel bei Toren oder der Aufstellung. Und natürlich geht da in all diesen Jahren auch einmal etwas schief. Ich erinnere mich: Arne Friedrich war Kapitän, aber eigentlich verletzt. Ersatzkapitän war Dick van Burik. Ich mache also die Aufstellung, gucke hoch und sehe, dass Arne plötzlich doch wieder dabei ist. Nun hatte ich die Nummer Vier und Dick aber schon ausgerufen. Also sagte ich: „Das war leider falsch, also fangen wir nochmal von vorne an“, und es ging wieder beim Torhüter los. Wenn dir sowas aber nicht permanent unterläuft, ist es in Ordnung und kann eben mal passieren. Einmal habe ich auch Jaroslav Drobný und Valeri Domovchiyski vertauscht, Valeri beim Warmmachen als Torhüter angekündigt und mir einen entsprechenden Blick von Udo eingefangen (grinst). Es ist aber nicht so viel gewesen und ehrlich gesagt kann man sich bei der Menge an Erinnerungen und Erlebnissen auch nicht mehr alles merken.
Knierim: Entscheidend ist auf jeden Fall, wie man damit umgeht. Bricht man zusammen oder hat man das Selbstbewusstsein und die nötige Lockerheit, damit entsprechend umzugehen? Sowas spüren die Menschen und das kommt dann auch gut an.
Was war der schlimmste Zungenbrecher, mit dem ihr euch auseinandersetzen musstet?
von Wachsmann: Das war im Jahn-Sportpark. Ein europäisches Qualifikationsspiel gegen einen georgischen Gegner – da waren alle elf Namen beim anderen Team furchtbar.
Knierim: Sonst kümmert sich ja immer Jens um die Gegner, aber im Jahn-Sportpark eben nicht. Was die Namen angeht: Solomon Okoronkwo fand ich immer schön!
Kerner: Ich habe den Anspruch, jeden Namen richtig auszusprechen, das hat auch mit Respekt zu tun. Wichtig ist, sich gut vorzubereiten und dann souverän über die Namen drüberzugehen. Wenn man beim Vorlesen merkt: „Oh, da kommt ja noch ein y – und jetzt?“, ist das eher schwierig (schmunzelt).
In all den Jahren habt ihr unzählige Gespräche und Interviews geführt. Stachen da bestimmte Personen und Persönlichkeiten heraus?
von Wachsmann: Überraschend nett fand ich den Austausch mit der Admiralität der U-Boot-Flotte. Gary McAllister vom FC Liverpool beim Jubiläumsspiel war auch super, das war ein lustiges Gespräch und es hat sehr viel Spaß gemacht. Wir haben viele interessante Gäste gehabt – Prominente, Sponsoren, ganz besondere Menschen. Die Abwechslung, dass sich immer wieder neue Situationen ergeben – das macht es aus. Und es gehört eben auch zu unserem Verein dazu, dass es ab und an fünf Minuten vorher noch die Ankündigung gibt, dass die und die Senatorin vorbeikommt und wir bitte noch ein Interview mit ihr führen müssen (schmunzelt). In all den Jahren war so alles dabei und es ist immer wieder aufs Neue interessant.
Und welche Spiele sind euch speziell in Erinnerung geblieben?
Knierim: Mein erstes Spiel, das 6:1 gegen Hamburg! Bart Goors vier Tore waren auch besonders, das Nebelspiel gegen Barcelona – allgemein die Champions League-Spiele!
von Wachsmann: Sascha Burchert. Sowas wird es nie wieder geben, glaube ich.
Knierim: Auch die Phase des Umbaus des Olympiastadions. Wir haben schon einiges erlebt. Die Aufstiegsspiele sind natürlich auch im Kopf geblieben. Die Corona-Spiele waren krass, das waren skurrile Situationen, wobei ich fand, dass wir das mit dem Hertha-Wohnzimmer als Verein noch gut gelöst haben. Nürnberg, mit dem Platzsturm, war damals auch krass.
Kerner: Das Nebelspiel ist mir auch direkt eingefallen, und das Spiel gegen Kaiserslautern in der ersten Aufstiegssaison. Da sind Fans in den Innenraum gestürmt und die Polizei wollte die Partie schon abbrechen. Da mussten wir dann mit Dieter Hoeneß Kontakt aufnehmen und die letzten Minuten noch irgendwie zu Ende führen. Das war spannend und hat sich eingebrannt – zumal dieses Spiel auch dazu beigetragen hat, dass Hertha anschließend in neue Dimensionen vorgestoßen ist.
Knierim: Und das letzte Spiel gegen Düsseldorf.
Nun steht wieder ein Heimspiel gegen Fortuna an. Niemand hat vergessen, wie die Rahmenbedingungen beim letzten Aufeinandertreffen aussahen. Die Schweigeminute für unseren verstorbenen Präsidenten Kay Bernstein war für viele Blau-Weiße der schwerste Moment im Olympiastadion. Fabi, du hast die Trauerrede für Kay gehalten. Wie hast du diese Momente selbst erlebt?
von Wachsmann: (denkt nach) Bei mir muss man das losgelöst von Hertha sehen. Für mich ist in erster Linie ein Mensch gestorben, dem ich sehr nahestand, der meiner Familie sehr nahestand und dessen Familie ich sehr nahestehe. Jemand, mit dem ich in den vergangenen 20 Jahren extrem viel erlebt habe, auch jenseits von Hertha. Dementsprechend war das für mich persönlich ein unvorstellbar schlimmer Schlag. Irgendwann habe ich angefangen, mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass ich es bin, der im Stadion etwas sagen muss. Zum einen, weil ich immer derjenige bin, der bei Trauerfällen etwas sagt. Zum anderen, weil wir uns eben so nahestanden. Das war eine Erkenntnis, die mich sehr hart getroffen hat und mich vor allem erstmals auch hat zweifeln lassen, ob ich das wirklich kann. Das habe ich dann für mich gespiegelt, beim Verein angerufen und gesagt, dass ich das gerne machen würde, weil ich denke, dass ich das machen muss. Aber das konnte ich nur, weil ich die Rede selbst schreiben durfte und die Abstimmung mit dem Verein darüber super lief. Diese Rede war die erste überhaupt, die ich im Vorfeld geübt habe. Mir war klar, dass ich schon die Worte „Lieber Kay“ nicht über die Lippen bringen würde, ohne in Tränen auszubrechen. Ich habe auch direkt gesagt, dass ich mich im Anschluss nicht in der Lage fühle, die Aufstellung zu machen. Und das war gut so, denn die Rede sowie der gesamte Tag mit all diesen traurigen Menschen war für mich überwältigend. Dazu diese Schweigeminute, wo bis auf die Fackel nichts zu hören war. Irgendwann habe ich nach Gefühl „danke schön“ gesagt und in diesem Moment ging auch die Fackel aus, dabei habe ich sie gar nicht gesehen. Das war Zufall. Oder auch nicht. Umso besser, dass Jens dann da war. Er hat das alles mit seiner neutralen Stimme dem Anlass sehr angemessen umgesetzt.
Jens, wie hast du die Arbeit an diesem Tag erlebt? Wie groß war deine Anspannung?
Kerner: Sonst bereite ich mich immer auf alle Eventualitäten vor. Das war allerdings eine Eventualität, auf die ich mich nicht vorbereiten konnte. Du warst als Hertha-Fan in dieser Trauerstimmung drin und total ergriffen.
von Wachsmann: Aber du hast genau das gemacht, was sich alle von dir erhofft hatten.
Fabi, deine Rede hat sogar bundesweit für Aufsehen gesorgt…
von Wachsmann: Ja, ich habe im Anschluss ganz viele Zuschriften von fremden Menschen bekommen, die davon berichtet haben, wie sie im Stadion mit mir geweint haben. Das gemeinsame Erlebnis, diese unfassbare Traurigkeit bei all diesen Leuten – ob sie beim Club gearbeitet, das Leben mit Kay in der Kurve verbracht oder ihn gar nicht persönlich gekannt haben – war sehr hilfreich für mich, den gesamten Verein und die Situation. Denn neben seinem persönlichen Schicksal sowie dem Schicksal seiner Familie war es natürlich auch für den Verein dramatisch. Ich drücke ganz fest die Daumen, dass wir da alle gemeinsam rauskommen und im November die Möglichkeit haben, eine gute Entscheidung zu treffen. Damit die Entwicklung, die der Club in den vergangenen zweieinhalb Jahren genommen hat, weitergeführt wird. Dieser Tag damals im Januar gegen Düsseldorf hat auch irgendwie ganz schön zusammengeschweißt. Obwohl ich darauf gerne verzichtet hätte. Ich war auch total dankbar, dass die Düsseldorfer sich so benommen haben, wie sie sich benommen haben – würdevoll unserem Leid gegenüber. Nach der Relegation (2012, Anm. d. Red.) hatten wir alle doch einen ordentlichen Brast auf die Fortuna und deren Fans. Die Ereignisse rund um diese Partie im Januar haben meine persönliche Einstellung zu diesem Verein total geändert.
Knierim: Der ganze Rahmen an diesem Tag gegen Düsseldorf hat von vorne bis hinten gepasst – die Übertragung aus der Kapelle, die Musik, das Verhalten der Gästefans. Ich habe und will Fabi aber nie wieder so gebrochen sehen wie an diesem Tag.
Wie schätzt ihr Kays Einfluss auf den Zusammenhalt in und das Zugehörigkeitsgefühl zu unserem Verein ein?
Knierim: Ich kannte Kay auch recht lange, da er ebenfalls bei Radio Energy war, und hätte ihm gerne noch einmal gesagt, wie gut er es als Präsident macht. Das nun nicht mehr zu können, tut weh. Zu seinem Geburtstag kürzlich habe ich auf Instagram ein Foto gesehen, das mich direkt wieder getroffen hat.
von Wachsmann: Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine neue Phase erreicht. Nachdem zuvor immer mehr vom großen Potenzial unseres Vereins weggeschmolzen war und es in allen Ecken der Stadt unzählige Menschen gab, die den Club im Herzen getragen haben, aber nicht mehr gekommen sind. Selbst mein Sohn, der von Geburt an Herthaner ist, weil ich da schon Stadionsprecher war, meinte irgendwann zu mir: „Nee, lass mal, Papa. Das tut mir zu sehr weh.“ Kay hat es geschafft, diese Menschen zu aktivieren. Es ging nicht darum, neue Zielgruppen zu erschließen, sondern das Potenzial zurückzugewinnen. Es war klar, dass die anderen dann von ganz alleine kommen. Und plötzlich hat sich das dynamisiert. Ich kenne so viele Menschen, die jetzt wieder zu Hertha gehen und sagen: „Hey, ich glaube an diese Mannschaft!“
Kerner: Dass so viele Berliner in dieser Mannschaft spielen, schafft natürlich auch eine zusätzliche Identifikation.
von Wachsmann: Hinzu kommt auch die Demut. Hertha BSC ist ein ganz normaler Querschnitt der Gesellschaft. Das ist einer der größten Entwicklungsschritte, den wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Und das Ergebnis sieht dann so aus, dass gegen Regensburg in der 2. Liga knapp 45.000 Fans kommen, die kurz vor dem Ende beim Stand von 0:0 feiern. Wenn die Leute, die bei Hertha das Sagen haben, das bewahren und mit dem Berliner Weg auch noch erfolgreich sein können, dann kann das ganz, ganz großartig werden. Doch das ist alles nicht in Stein gemeißelt. Wenn wir nicht aufpassen, kann es auch schnell wieder in die andere Richtung gehen.
Wie die sich anfühlt, habt ihr erlebt. Ihr habt in der 2. Liga angefangen, als im Schnitt 5.000 Menschen ins Olympiastadion kamen. Welche Ereignisse waren in euren Augen besonders wichtig und prägend für die Veränderungen?
von Wachsmann: Kaiserslautern auf jeden Fall, weil es das erste Mal für uns ein ausverkauftes Spiel war. Da hat man gemerkt, welche Wucht und Power in diesem schlafenden Riesen steckt. Anschließend gab es keinen kontinuierlichen Weg, sondern ein Auf und Ab.
Betrachtet man die Stimmung, den Rückhalt durch die Herthanerinnen und Herthaner, erleben wir in diesem Bereich zuletzt eher ein Auf. Habt ihr zuletzt weitere positive Veränderungen bemerkt, die euch freuen?
Knierim: Immer mehr Leute kommen mit einem Schal oder einem Trikot ins Stadion. Das waren früher deutlich weniger und hat sich in den vergangenen Jahren ebenfalls stark verändert. Bei unserer Hymne stehen die Leute mittlerweile fast bis hinter zur gegnerischen Kurve und halten zusammen mit der Ostkurve die Schals nach oben. Das war vor 25 Jahren auf keinen Fall so.
Kerner: Da gebe ich dir recht. Ich sehe auch vermehrt wieder Kids mit Hertha-Trikot in der Stadt. Das ist die Identifikation, die wieder kommt!
Zur Identifikation trägt auch ein ehemaliger Profi am Plattenteller bei. Er ist heute nicht hier, gehört aber genauso zu eurem Team und dem Stadionerlebnis: DJ Ferry. Wie erlebt ihr die Zusammenarbeit mit ihm? Was zeichnet ihn aus?
von Wachsmann: Er war schon als Spieler anders als andere. Ein Beispiel: Ferry hat mich irgendwann mal nach einem Spiel gefragt: „Ey, wir kicken am Sonntag in Gesundbrunnen. Hast du Bock vorbeizukommen?“ Wo ich dann meinte: „Fragst du gerade mich, ob ich mit euch Fußball spielen will?“ Grundsätzlich unterstreicht das, welch nahbarer Mensch Ferry schon immer war. Dementsprechend ist es total einfach, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er macht einen super Job und besitzt zudem die Kompetenz, immer alles aus Sicht der Spieler bewerten zu können. Ich finde generell das Konzept sehr schön, dass wir inhaltliche Doppelpässe mit ihm spielen können.
Knierim: Und er schiebt auch keinen Dicken, sondern ist ein ganz cooler und angenehmer Kerl. Als ehemaliger Bundesligaprofi könnte er die Nase ganz weit oben tragen. Ich finde das super. Deswegen versuchen wir das immer wieder zu sagen, dass wir die einzigen sind, die einen Live-DJ haben, der selbst Profi war. Außerdem hat er den schönsten Schnurrbart in der Bundesliga.
Wenn ihr an die Reaktionen der Fans auf eure Ansagen denkt, würdet ihr da gerne auch mal wieder für einen Tag tauschen?
Kerner: Ja!
von Wachsmann: Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Vielleicht irgendwann, wenn ich von mir aus aufgehört habe. Aber selbst dann wäre ich mir nicht sicher, ob ich nicht ständig über meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger meckere. Keine Ahnung, ich hoffe nicht (lacht). Im Moment finde ich die Vorstellung, einfach so bei einem Hertha-Spiel im Stadion zu sein, einfach nur furchtbar.
Bei Heimspielen seid ihr unentbehrlich – wie verfolgt ihr die Auswärtsspiele?
Knierim: Ich fahre auch ab und zu auswärts mit. Beispielsweise war ich in Hamburg dabei. Das ist schon ganz schön anstrengend (lacht). Und wenn ich nicht im Stadion bin, schreibe ich Fabi unzählige Nachrichten, die er nicht beantwortet.
von Wachsmann: Alles, was ich im Stadion in mich hineinfresse, kann ich zu Hause hemmungslos rauslassen. Ich bin dann auch sehr kritisch. Hin und wieder bin ich auch auswärts dabei.
Wie lange wollt ihr den Job noch machen? Sehen und hören wir euch noch einmal 25 bis 30 Jahre?
Kerner: Es geht wirklich um jedes zweite Wochenende. Ich muss über eine Stunde vor Toröffnung auf meinem Platz sitzen und bleiben, bis der letzte Fan aus dem Stadion ist. Der Tag ist dann gelaufen. Auch die Urlaubsplanung gestaltet sich nicht so einfach. Vielleicht reizt auch irgendwann mal die Freiheit.
Knierim: Nee! Das ist so ein Privileg und so geil! Da dann noch mit Fabi, meinem kleinen Muckel zu sitzen, ist einfach lustig (grinst).
Kerner: Seit einigen Jahren sitzt Marcus Becker (Direktor Recht & Personal, Anm. d. Red.) bei mir oben. Wir verstehen uns auch ausgezeichnet, fluchen immer zusammen, wenn es mal nicht läuft und jubeln natürlich auch gemeinsam (schmunzelt).
Knierim: Wir auch. Und Fabi scheißt mich immer zusammen, wenn ich zu laut fluche, weil der vierte Offizielle meistens vor uns sitzt. Um zur Frage zurückzukommen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es ohne Fabi mache.
von Wachsmann: Ich denke darüber gar nicht nach. Im Moment macht mir das sehr viel Spaß. Mein Wunsch wäre es, dass ich irgendwann für mich sagen kann: „Danke, das war’s!“
Knierim: Es wäre schön, wenn wir vorher darüber sprechen würden. Nicht, dass ich eines Tages ins Stadion komme und dort alleine bin.
von Wachsmann: Wir würden natürlich darüber reden. Ein neues Stadion könnte schon so ein Punkt sein. Aber das wird vermutlich noch etwas dauern. Nehmen wir mal an, das käme in sieben Jahren: Dann wäre ich 65 Jahre alt und es wäre durchaus an der Zeit zu überlegen, ob nicht jemand jüngeres übernehmen sollte. Vielleicht ist es genau der richtige Zeitpunkt, um zu sagen: „Neues Stadion, neuer Sprecher.“ Obwohl ich den Sinn einer neuen Arena sehe, ist das Olympiastadion für mich auch trotz seiner Geschichte das schönste Stadion, das wir in diesem Land haben. Deswegen habe ich es sehr, sehr gerne. All diese Erinnerungen, über die wir gesprochen haben, habe ich – bis auf die georgische Mannschaft – in diesem Stadion gesammelt.
Knierim: So lange die Leute sich noch freuen, uns zu sehen und nicht buhen, geht es noch. Wenn ich so anfange darüber nachzudenken: Noch mit 80 wäre schon auch witzig.
Kerner: Tatsächlich hatte ich mir mal so überlegt, dass ich definitiv bis zur EM mache, um dann auch die 30 Jahre voll zu haben. Das war ein Ziel. Jetzt war ich bei der EM aber gar nicht im Einsatz. Es geht also weiter - und ich muss mir das nächste Ziel stecken.