Tony Fuchs sitzt auf der leeren Tribüne im Stadion auf dem Wurfplatz/Amateurstadion.
Akademie | 22. August 2024, 16:36 Uhr

Vom Routinier zum Lehrling

Dienstagabend im Stadion auf dem Wurfplatz/Amateurstadion: Die U23 unseres Hauptstadtclubs empfängt den FC Rot-Weiß Erfurt. Bereits einige Augenblicke vor den 22 Akteuren beider Teams betritt Tony Fuchs den Rasen. Die Treppenstufen, die vom Kabinentrakt hinab auf das Grün führen, könnte der Herthaner vermutlich auch mit verbundenen Augen zurücklegen. Die Spielstätte stellt schließlich schon seit einer halben Ewigkeit den Arbeitsplatz des 34-Jährigen dar. Im August 2014, und damit nur wenige Wochen nach dem Triumph der DFB-Elf bei der WM in Rio, absolvierte der gebürtige Neubrandenburger beim 2:2-Remis gegen den FC Carl Zeiss Jena in der Regionalliga Nordost sein erstes Heimspiel mit der Fahne auf der Brust für unsere Bubis. Sowohl unserer Alten Dame als auch der Spielklasse hielt der Wahl-Berliner bis heute die Treue. Und dennoch hat sich für Fuchs, den alle nur Fugger nennen, in diesem Sommer einiges verändert, wovon nicht nur die eingangs geschilderte Tatsache zeugt.

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Fugger ist ein echter Herthaner! Wir sind sehr glücklich, dass er dem Berliner Weg in neuer Rolle erhalten bleibt.
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-Andreas „Zecke“ Neuendorf

Admir Hamzagić, Tony Fuchs und Rejhan Hasanović unterhalten sich auf dem Rasen.
Das U23-Trainergespann: Rejhan Hasanović mit seinen Assistenten Tony Fuchs und Admir Hamzagić (v.r.)

Die langjährige Nummer 9 unserer U23 hat nach insgesamt 285 Einsätzen in der Regionalliga Nordost, davon 228 für Hertha BSC und zahlreiche mit der Binde am Arm, Fußballschuhe gegen Trainingsanzug eingetauscht. Im Duell mit den Thüringern nahm der Blau-Weiße, der im Rahmen des Stadionprogramms beim Heimspiel der Profis am Samstag (24.08.24, 13:00 Uhr, Tickets hier) gegen den SSV Jahn Regensburg offiziell aus seiner aktiven Laufbahn verabschiedet wird, an der Seitenlinie Platz – und zwar in gänzlich neuer Funktion: Als Assistent und Analyst komplettiert Fuchs das Team von Chefcoach Rejhan Hasanović, dem darüber hinaus auch Admir Hamzagić angehört. „Fugger ist ein echter Herthaner! Er hat in den vergangenen Jahren schon so vielen Talenten als Mitspieler und wichtiger Ratgeber in ihrer Entwicklung geholfen – da war es nur logisch, dass wir ihn auch nach dem Ende seiner Karriere an unsere Akademie binden. Wir sind sehr glücklich, dass er dem Berliner Weg in neuer Rolle erhalten bleibt“, betont Andreas „Zecke“ Neuendorf, der als Direktor Akademie & Lizenzspielerbereich den Rollentausch initiierte. Dabei war Fuchs einst nur aufgrund der Verkettung verschiedener Zufälle bei unserem Hauptstadtclub gelandet.

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Ich habe also zugesagt und wollte ein Jahr bleiben. Und naja – jetzt bin ich noch immer hier!
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-Tony Fuchs

Tony Fuchs spielt den Ball vor Ronny.
Duell mit Ronny: In der Saison 2013/14 testete Fugger mit Neustrelitz gegen unsere Profis.

Brdarićs Pech bedeutet Čovićs Glück

Doch von vorn: Nach dem Abschluss einer beruflichen Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann zog es Fugger im Sommer 2012 von seinem Heimatverein, dem 1. FC Neubrandenburg 04, zur TSG Neustrelitz. Und in der früheren Residenzstadt erlebte der Rechtsfuß zwei besonders erfolgreiche Spielzeiten. Zunächst gelang der Titelgewinn im Landespokal sowie die daraus resultierende Teilnahme am DFB-Pokal, dann unter Thomas Brdarić die Meisterschaft in der Regionalliga Nordost. In der Aufstiegsrunde zur 3. Liga scheiterten die Schützlinge des einstigen Nationalspielers jedoch am FSV Mainz 05 II. Brdarićs Pech bedeutete allerdings Ante Čovićs Glück.

Denn der damals bei der U23 unserer Alten Dame fungierende Übungsleiter weilte beim Hinspiel, um einen Außenbahnakteur der Rheinhessen unter die Lupe zu nehmen. Viel mehr Eindruck hinterließ in dem Duell dann aber ein kleiner, wuseliger Flügelflitzer der Neustrelitzer: Fugger. Eine Begegnung im VIP-Raum während der Halbzeitpause machte die Geschichte rund: „Ich begegnete dort seinem Berater, den ich schon lange kannte. Als ich ihm erzählte, dass ich den Linksaußen mit der Nummer 9 von Neustrelitz sofort nehmen würde, meinte er, dass dies sein Spieler sei und Fugger noch keinen Vertrag für die kommende Saison unterschrieben habe“, fasst Čović die glückliche Fügung zusammen. „Ich hatte ein gutes Jahr hingelegt und wollte erst einmal gucken, ob es mit der TSG in der 3. Liga oder in der Regionalliga weitergeht“, erinnert sich der Umworbene, der vom Gespräch zwischen Agent und Trainer zunächst nichts mitbekommen hatte. „Kurz danach hat mich dann mein Berater gefragt, ob ich mir auch etwas anderes vorstellen könnte. Denn eigentlich wollte ich in Heimatnähe bleiben. Anschließend kam Ante dazu – und er kann ja ganz gute Überzeugungsarbeit leisten“, erzählt Fugger grinsend. Nachdem der interessierte Übungsleiter den potenziellen Neuzugang in der Folge auch noch über das Olympiagelände geführt hatte, galt es, eine Entscheidung zu treffen. „Ich weiß noch, wie ich zu meinem Vater gesagt habe, dass ich nicht weiß, was ich machen soll“, so Fuchs, der mit einem noch breiteren Grinsen hinzufügt: „Er meinte zu mir, dass ich ja jederzeit zurückkommen könne. Ich habe also zugesagt und wollte ein Jahr bleiben. Und naja – jetzt bin ich noch immer hier!“

Bildergalerie: Einmal Herthaner, immer Herthaner

Geliebte Rückennummer & viele Positionen

Mit in die Hauptstadt brachte Fugger neben dem Spitznamen, den er vom ebenfalls Fußball spielenden Vater geerbt hatte, auch die Vorliebe für die Rückennummer 9, die sich später zum Running Gag entwickeln sollte. Die Zeit an der Spree lieferte im Gegenzug nicht nur reichlich Anekdoten, sondern auch viele neue Positionen. Von links vorne ging es über die Jahre nach rechts hinten. Im Mittelfeld- sowie Abwehrzentrum half der Allrounder bei Bedarf genauso aus wie in der Sturmspitze. „Am witzigsten war es mit meinen 1,67 Metern in der Innenverteidigung, aber auch das hat ganz gut funktioniert“, erklärt Fuchs, der sich selbst am besten auf der offensiven Außenbahn gefiel. Obwohl es in der Defensive logischerweise nicht ganz gelang, auf die Torquote einer klassischen Neun zu kommen, setzte der Herthaner weiterhin auf diese Nummer. Eine wichtige Konstante für die Allzweckwaffe, die es insgesamt auf sieben Pflichtspieltore in unseren Farben brachte. „Da ich Veränderungen nicht so sehr mag und schon ein paar Sachen mit der 9 besaß, wollte ich sie auch als Rechtsverteidiger unbedingt behalten. Obendrein hat diese Tatsache ein wenig Verwirrung beim Gegner gestiftet“, berichtet Fuchs mit einem Augenzwinkern.

Tony Fuchs gibt eine Anweisung.
Eine von Stolz geprägte Zeit: Als Kapitän gab Fuchs die Richtung auf dem Rasen vor.

Apropos Konstante: Die Tatsache, dass er in seiner Karriere lediglich für drei Vereine im Herrenbereich auflief, bedeutet dem Mecklenburger eine Menge. „Vor allem die zehn Jahre bei Hertha waren für mich sowie meine Familie und Freunde immer von Stolz geprägt. Ich durfte über eine so lange Zeit in einer fußballerisch starken Mannschaft spielen und sogar ihr Kapitän sein“, bekräftigt der Herthaner, der aus seiner Identifikation mit unserer Alten Dame keinen Hehl macht. „Ich habe kürzlich im Rahmen des Onboardings ein Video über unseren Club gesehen, dass mir brutale Gänsehaut beschert hat. Da sind mir all die Erinnerungen durch den Kopf gegangen. Zudem ist mir noch einmal bewusst geworden, was Hertha für ein riesiger Traditionsverein ist. Wie viel er den Leuten bedeutet, merke ich immer wieder, wenn ich im Olympiastadion bin. Ich weiß das alles sehr wertzuschätzen“, unterstreicht der Blau-Weiße, der nur einen Steinwurf von der erwähnten Spielstätte entfernt wohnt.

Prominente Begegnungen

Zu den Highlights mit der Fahne auf der Brust zählten für Fuchs speziell die jungen Teamkollegen, denen der Sprung aus der Akademie zu den Profis gelang und deren Auftritte im weiten Rund er dann stets gespannt von der Tribüne verfolgte. „Ich habe mit so vielen guten Spielern, die es teilweise bis in die Nationalmannschaft geschafft haben, zusammen trainiert und gespielt. Das war stets etwas Besonderes“, betont Fugger, der immer auch die Begegnungen im Premier League International Cup genoss: „Ich erinnere mich beispielsweise an eine Partie beim FC Everton im Goodison Park, wo ein paar Tage zuvor noch Manchester United gespielt hatte und Zlatan Ibrahimović in der gleichen Kabine saß. In anderen Duellen ging es dann auch gegen Leute wie Curtis Jones vom FC Liverpool oder Samuel Chukwueze vom FC Villareal.“ Dabei hatte Fuchs solche Duelle ursprünglich nicht unbedingt im Sinn, im Alter von 22 Jahren spielte er schließlich noch in der Verbandsliga und ging zusätzlich arbeiten. „Ich habe eine sehr gute fußballerische Ausbildung erhalten, hatte aber nie diese konkreten Ziele. Das hat sich dann einfach entwickelt“, sagt der 34-Jährige.

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Ich bewundere an ihm vor allem seine Wissensgier sowie die Eigenschaft, dass er nie aufhört, an sich zu arbeiten.
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-Ante Čović

Tony Fuchs schlägt mit Ensar Aksakal ein.
Emotionalisiert, lobt, motiviert und führt Einzelgespräche: Der Trainer-Novize mit Ensar Aksakal.

Werte wie Fleiß, Mentalität und Demut, die seinen eigenen, nicht ganz gewöhnlichen Werdegang entscheidend beeinflusst haben, vermittelt Fuchs inzwischen als Teil des U23-Trainerteams den Talenten unserer Akademie. Ein Jobwechsel, der sich schon länger abgezeichnet hatte. Bereits in Neustrelitz notierte sich Fugger spannende Übungen nach den Einheiten. Später studierte er Sportmanagement an einer Fernuni, widmete sich zudem schon zeitig Themen wie Scouting und Analyse und brachte sich als Assistenzcoach unserer U15 ein. „Das verlief alles fließend. Ich war immer schon ein verlängerter Arm auf dem Platz, habe Ansprachen gehalten, im Training alles hinterfragt und Sachen aufgenommen“, erzählt Fugger, der im Sommer nun vor der Frage stand: Weitermachen als Aktiver oder Loslegen als Trainernovize?

„Ich konnte mir beides vorstellen und habe mich dazu permanent mit Zecke ausgetauscht. Als er mir dann die neue Rolle angeboten hat, habe ich einen Tag überlegt und gesagt: Es soll wohl so sein. Es war für mich eine super Chance, so einen nahtlosen Übergang hinzubekommen. Die Leidenschaft zum Beruf zu machen, ist nicht vielen vergönnt. Das wusste ich auch aus meinem früheren Job. Deswegen wollte ich im Fußball bleiben“, unterstreicht Fuchs, der damit quasi in kürzester Zeit eine Transformation vom Routinier zum Lehrling vollzog. Čović sieht seinen ehemaligen Schützling in der jetzigen Funktion bestens aufgehoben. „Fugger hat die U23 über Jahre geprägt und war dabei der beste Beweis, dass Mentalität Qualität schlägt. Ich bewundere an ihm vor allem seine Wissensgier sowie die Eigenschaft, dass er nie aufhört, an sich zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass er das auch als Trainer genauso fortführen wird“, erklärt der aktuelle Übungsleiter unserer U17.

Keine Zeit für Urlaub

Zwar lautete Fuggers ursprüngliches Vorhaben, nach dem Ende seiner Laufbahn zumindest für drei Monate komplett vom Fußball abzuschalten. Doch dieses hielt nicht lange stand. „Ich hatte mit Rejhan besprochen, dass ich erst etwas später dazustoße. Aber dann waren die Jungs drei, vier Tage im Training und ich habe ein paar Bilder auf Social Media gesehen, als ich mich entschieden habe, doch direkt zurückzukommen. Der Urlaub wird frühestens im Dezember nachgeholt“, verrät Fugger lachend. Seitdem lernt der Blau-Weiße speziell von Hasanović und Hamzagić täglich dazu. „Ich kann mir von beiden so viel abschauen, da sie über deutlich mehr Erfahrung als ich verfügen. Insgesamt passt es sehr gut zwischen uns, da wir auch die gleiche Idee vom Fußball verfolgen. Wir haben viel Spaß untereinander – auch mit den Jungs, die voll mitziehen und unsere Inhalte umsetzen“, schildert Fuchs.

Aber auch der Neu-Coach hat einiges zu geben. In den Einheiten auf dem Rasen sorgt Fugger für Emotionen und Stimmung, lobt, motiviert, übt aber auch bei Einzelgesprächen konstruktive Kritik. Der Ex-Spieler erklärt: „Ich achte auch auf die kleinen Dinge drumherum, wo der Ball vielleicht mal gerade nicht im Spiel ist. Grundsätzlich ist es sicherlich nicht von Nachteil, dass ich vor kurzem selbst noch in der anderen Position war. Auch gerade in der Vorbereitung, wenn es um Belastung ging. Da mal weniger machen und da mal mehr: Rejhan und Admir nehmen meine Ratschläge voll an.“ Was ihn darüber hinaus vor allem am Übungsleiterposten reizt? „Du kannst zusammen mit den Jungs viel bewegen. Du darfst nie zufrieden sein. Denn es gilt, eine Mannschaft und einzelne Spieler weiterzuentwickeln. Ich habe viele Talente gesehen, die es geschafft haben. Aber ich habe noch mehr Talente gesehen, die es nicht geschafft haben. Und darauf kann man als Trainer einen Einfluss haben“, skizziert Fugger, der sich natürlich von seinen eigenen Coaches einiges abgeschaut hat. „Ante war sieben Jahre lang mein Trainer. Er macht heute andere Sachen als damals und blickt immer über den Tellerrand hinaus. Auch seine Ansprache hat immer etwas Neues geboten. Bei Zecke hat mich die Art und Weise, wie er die Mannschaft geführt hat, beeindruckt – direkt und ehrlich“, fasst Fuchs zusammen.

Tony Fuchs sitzt auf der Trainerbank im Stadion auf dem Wurfplatz/Amateurstadion.

Neben der Arbeit mit dem Team auf dem Rasen sowie der dazugehörigen Vor- und Nachbereitung beschäftigt sich Fugger aber auch intensiv mit der Spielanalyse. Dabei nimmt der Herthaner, der die Mannschaften der Regionalliga Nordost aufgrund seiner Vergangenheit so gut wie kaum ein Zweiter kennt, speziell die kommenden Gegner in den Blick. Fuchs sichtet Videomaterial, schneidet Szenen zusammen und zeigt Auffälligkeiten sowie mögliche Lösungen auf. Die Beobachtungen fließen bereits im Vorfeld in die Trainingseinheiten ein, kurz vor dem Duell folgt schließlich ein ausführlicher Bericht zur anstehenden Aufgabe. „Manchmal verliere ich etwas die Zeit aus den Augen, weil es Spaß macht und ich dann so im Thema drin bin“, erzählt Fugger. Deutlich länger dauern demzufolge die Arbeitstage. „Für mich, der die letzten zwölf Jahre nur Fußball gespielt hat, war es eine Herausforderung, so lange am Rechner zu sitzen. Ich bin jetzt abends weniger körperlich, dafür vor allem geistig müde“, sagt Fuchs. Während der Wahl-Berliner sonst nach Feierabend oft mit Leuten aus der Heimat telefonierte, schnappt er sich nun am liebsten sein Rennrad und dreht eine Runde an der Havel entlang.

Adrenalinschübe nach Abpfiff

Dem Kunstleder jagt Fugger, der im vergangenen Jahr auch schon einmal für unsere Ü32 im Einsatz war, aktuell hingegen gar nicht hinterher. „Ich vermisse das Spielen leider – und das wundert mich selbst – in keiner Weise. Wahrscheinlich, weil ich in meiner neuen Rolle so gefangen bin. Ich merke zudem, dass mein Körper ein wenig Luft holt“, verrät der Herthaner. Der Verzicht auf die anstrengenden Läufe in der Vorbereitung fiel Fugger ebenso wenig schwer. Adrenalin durchfließt den Körper des langjährigen Leistungssportlers trotzdem noch im gehobenen Maße. „Die Momente in Greifswald und gegen Erfurt, als der Schiri abgepfiffen hat, wir mit unserer ganz jungen Truppe zwei Favoriten schlagen konnten und Rejhan, Admir und ich uns umarmten, waren fast noch geiler, als selbst auf dem Platz gestanden zu haben“, erzählt Fuchs, der in den nächsten zwei Jahren die A-Lizenz machen möchte. Darüber hinaus hält er es wie zu aktiven Zeiten: „Ich habe nicht das und das vor, bin auch nicht der Typ, der zwei Jahre mal da und mal dort ist. Ich fühle mich im Verein einfach wohl, gebe alles und werde sehen, wo ich lande.“ Vielleicht folgen ja auch zehn weitere Jahre in seinem Wohnzimmer: dem Stadion auf dem Wurfplatz/Amateurstadion.

von Erik Schmidt