Unsere 1. Frauen bilden einen Kreis.
Club | 5. Juni 2024, 17:30 Uhr

Historisch!

Wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer nach einem 1:6 aufspringen, lautstark applaudieren und frenetisch Fangesänge anstimmen, dann weiß man: Hier spielt sich gerade etwas ganz Besonderes ab. Sekunden zuvor war die Regionalliga-Begegnung zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union im Olympiapark zu Ende gegangen. Das erste Pflichtspiel unserer 1. Frauen stand in den Büchern. Und damit – unabhängig vom zweitrangigen Ergebnis – ein Stück Geschichte. Nicht nur für Svenja Poock, der das historisch bedeutsame erste Tor für unsere Blau-Weißen gelang, ein Tag voller Gänsehautmomente. „Das war unglaublich! Wie die Fans abgegangen sind – fast wie im Traum. Auch die Hertha-Fahne zu tragen, war unbeschreiblich“, sagte die Mittelfeldspielerin. Was Poock zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen durfte: Dieser 20. August war ein Vorgeschmack auf eine faszinierende Reise durch die Saison 2023/24.

Die 1. Frauen drehen eine Ehrenrunde durch das Stadion.
Erstmals mit der Fahne: Bei der Saisoneröffnung stieg das erste Spiel überhaupt – gegen den KSC.

Herthas Frauen-Mannschaft: Ein blau-weißer Meilenstein

Aber der Reihe nach: Im November 2022 votierten unsere Vereinsmitglieder für eine eigene Mädchen- und Frauenabteilung. Es folgten Monate der intensiven Arbeit mit vielen Gesprächen, bis klar war, dass unser Hauptstadtclub künftig mit eigenen weiblichen Teams an den Start gehen wird. Möglich hat das die Kooperation mit Hertha 03 Zehlendorf gemacht. „Wir haben hinter den Kulissen hart daran gearbeitet, die Abteilung in unseren Verein zu integrieren. Dank der bereits vorhandenen Strukturen und mithilfe unserer Erfahrung im Nachwuchs- und Profifußball wollen wir langfristig eine nachhaltige Leistungskultur in unseren jungen Frauen- und Mädchenteams etablieren“, sagte Ex-Profi und Leiter Frauenfußball Sofian Chahed. Für den Herthaner und seine Mitstreitenden war bereits die Saisoneröffnung wenige Wochen vor dem Pflichtspielauftakt ein erster Meilenstein. Vor den Augen von Präsident Kay Bernstein und Chefcoach Pál Dárdai empfingen unsere Spielerinnen den Karlsruher SC. „Das ist historisch. Wir sind unheimlich glücklich und froh, dass wir nun eigene Frauen- und Mädchenteams haben“, erklärte der ebenfalls anwesende Sportdirektor Benjamin Weber im Anschluss an die Partie.

Überraschungscoup rundet starke Hinserie

Auf das erste Tor sollte schnell der erste Sieg folgen. Bereits am 2. Spieltag triumphierten die Berlinerinnen beim 1. FFV Erfurt. Es folgten zwei weitere starke Auftritte und klare Siege gegen den 1. FFC Fortuna Dresden und den Magdeburger FFC. „Die Siegesserie hat uns Selbstbewusstsein gegeben. Wir haben einen sehr starken Kader beisammen, in dem jede Spielerin in jedem Training Gas gibt und sich zeigen möchte. Diese Qualität haben wir besonders in dieser Phase auf den Platz übertragen“, sagte Manuel Meister. Der Coach hatte die Frauen nach verschiedenen Stationen im Herren- und Juniorenbereich bei Hertha 03 Zehlendorf im Sommer übernommen und stellte sich als Glücksgriff für die blutjunge und gleichzeitig so lernwillige Einheit heraus.

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Wenn die Fans spüren, dass das Team alles gibt, stehen sie bedingungslos dahinter. Und ich glaube, dass die Mädels es ganz gut schaffen, die Werte des Vereins und damit die Fahne auf der Brust zu repräsentieren.
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-Manuel Meister

Nora Giannori und Elina Frieauff im Gespräch.
Nora Giannori, Kapitänin Elina Frieauff & Kolleginnen fuhren dank harter Arbeit schnell Erfolge ein.

Auf dem Platz agierten die Herthanerinnen, bei denen Spielidee und Automatismen immer klarer wurden, von Woche zu Woche selbstsicherer. Das bekam auch Aufstiegsfavorit FC Viktoria Berlin im Oktober zu spüren. Nach einer leidenschaftlichen Vorstellung rangen unsere Mädels die hochfavorisierten Südberlinerinnen mit 2:1 nieder. „Während der 90 Minuten war es extrem schön zu spüren, wie hart die Mädels arbeiten und dafür von den Fans gefeiert werden“, sagte Chahed zum Abschluss der Hinrunde über diesen besonderen Erfolg und hielt fest: „Diese Partie war nicht nur für Mannschaft und Trainerteam, sondern auch für alle anderen Verantwortlichen eine Bestätigung – man konnte erkennen: Wir sind auf dem richtigen Weg.“

Anschließend sollte sich Chahed wie folgt zufrieden und glücklich äußern: „Die Teams sind ein absoluter Gewinn für den ganzen Verein!“ Trainer Meister fasste die Gefühlswelt nicht weniger treffend zusammen. „Wenn die Fans spüren, dass das Team alles gibt, stehen sie bedingungslos dahinter. Und ich glaube, dass die Mädels es ganz gut schaffen, die Werte des Vereins und damit die Fahne auf der Brust zu repräsentieren.“ Es war womöglich der Höhepunkt einer Hinrunde, die unsere Frauen auf dem starken vierten Tabellenplatz beendeten.

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Wir wünschen uns perspektivisch für unsere Mädels ähnlich professionelle Strukturen wie im Herrenbereich. Mindestens genauso wichtig ist, dass das Interesse am Frauen- und Mädchenfußball weiter organisch wächst.
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-Sofian Chahed

Sofian Chahed und Manuel Meister beim Handschlag.
Leiter Frauenfußball Sofian Chahed und Trainer Manuel Meister sind ein eingespieltes Team.

Weitere Professionalisierung

Nicht erst seit der Winterpause haben die Verantwortlichen im Hintergrund begonnen, die nächsten Schritte intensiv zu planen. Dabei gibt es verschiedene Ziele. „Wir wünschen uns perspektivisch für unsere Mädels ähnlich professionelle Strukturen wie im Herrenbereich. So können unsere Teams regional und bundesweit konkurrieren. Mindestens genauso wichtig ist, dass das Interesse am Frauen- und Mädchenfußball in allen Bereichen weiter organisch wächst“, hielt Chahed fest. Ein grundlegender Erfolg in dieser Hinsicht trat bereits ein: Im Februar hat Hertha BSC acht Spielerinnen dauerhaft an den Club gebunden. „Sie bilden den Kern des Teams und tragen mit Stolz und Leidenschaft das Trikot mit der Fahne auf der Brust. Die Mädels werden auch in der kommenden Saison eine zentrale Rolle spielen“, fügte der frühere Rechtsverteidiger hinzu.

Außerdem unterschrieb Meister ein neues Arbeitspapier. Chahed bekräftigte: „Wir sind davon überzeugt, dass wir in dieser Konstellation auch in Zukunft nachhaltig Fortschritte erzielen werden.“ Glücklich ist auch der Trainer selbst. „Die tägliche Zusammenarbeit mit den Spielerinnen und mit ihnen die gemeinsame Leidenschaft zu teilen, schätze ich enorm. Wir sind ein junges Team mit großem Potenzial, das wir zur Entfaltung bringen möchten. Dabei sind wir noch lange nicht am Ende der eingeschlagenen Entwicklung“, sagte der 41-Jährige.

Svenja Poock und Elfie Wellhausen bejubeln einen Treffer.
Jubel! Das Team um Svenja Poock und Elfie Wellhausen zeigte sich im Saisonfinale torhungrig.

Mitten im Lernprozess

Zu dieser Entwicklung gehört auch, dass die talentierte Auswahl mitten in einem Lernprozess steckt – erkennbar beim Blick auf die Ergebnisse der Rückrunde. „Wir haben oft gut gespielt, waren aber in letzter Konsequenz nicht zwingend genug. Die Gegnerinnen haben sich im Vergleich zur Hinrunde besser auf uns eingestellt und wir haben uns einfach zu selten für den betriebenen Aufwand belohnt“, befand der Trainer. Beunruhigt sind die Verantwortlichen deshalb nicht: „Wir dürfen nicht vergessen: Unser Ziel war es, besser abzuschneiden als in der vergangenen Saison. Das ist uns gelungen. Wir hatten zu keinem Zeitpunkt etwas mit dem Abstieg zu tun. Fehler bei so jungen Spielerinnen sind normal, wir müssen nur für die Zukunft aus ihnen lernen“, sagt Meister. Zumal das Finale der Premierenspielzeit, bei der unsere Herthanerinnen auf Platz 6 ins Ziel kamen, noch einige Highlights zu bieten hatte: Das Derby im Stadion An der Alten Försterei vor über 12.000 Zuschauerinnen und Zuschauern sowie die klaren Erfolge über Türkiyemspor, Bischofswerda und Berolina Mitte – letzterer sorgte zum Abschluss sogar für einen Rekord!

Und wer weiß welches Szenario der Saisonstart 2024/25 dann für unsere Frauen bereithält? Gewiss ist: Die Hertha-Familie wird es gebannt verfolgen und auch bei möglichen Rückschlägen geschlossen hinter dem Team stehen. Für die blau-weißen Farben. Für Hertha BSC.

Beim abschließenden Heimspiel unserer Profis gegen Kaiserslautern, das ganz im Zeichen der 90er-Jahre stand, feierte auch unser legendäres Stadionmagazin „Wir Herthaner“ sein Comeback. Auch dieser Text erschien dort zuerst. Die Mehrzahl der gedruckten Exemplare ging bereits über die Ladentheken – doch wir haben noch eine geringe Stückzahl an Heften auf Lager, die ihr online sowie in allen Fanshops erstehen könnt. „Wir Herthaner“ kostet, passend zum Spieltagsaufhänger, 4 DM – also 2 Euro in heutiger Währung.

von Celine Jäntsch