Uwe Kliemann im Trikot von Hertha BSC.
Historie | 30. Juni 2024, 00:01 Uhr

Alles Gute, Uwe Kliemann!

Zur Saison 1970/71 soll Uwe Kliemann vom amtierenden Berliner Regionalliga-Meister Hertha 03 Zehlendorf zu Hertha BSC wechseln. Unsere Vereinsverantwortlichen statten dem 21-Jährigen in dessen Tempelhofer Elternhaus einen Besuch ab. Trainer Helmut „Fiffi“ Kronsbein ist allerdings nicht unbedingt dafür bekannt, vornehmlich auf junge Talente zu setzen. Auch die sehr große Konkurrenz beim ambitionierten Bundesliga-Dritten bewegen den Abwehrhünen dazu, sich für einen Wechsel zum Bundesliga-Konkurrenten Rot-Weiß Oberhausen mit einem wesentlich ruhigeren Umfeld zu entscheiden.

„Im Nachhinein war der Weg auch richtig“, sagt Kliemann. In Oberhausen, wo ihm aufgrund seiner Herkunft und Körpergröße von 1,96 Metern die lokale Presse in Anlehnung an das West-Berliner Wahrzeichen den Spitznamen „Funkturm“ verleiht, bestreitet er in zwei Spielzeiten 56 von 68 möglichen Bundesliga-Partien. Nach zweimaligem Klassenerhalt führt ihn der Weg zur Spielzeit 1972/73 dann zu Eintracht Frankfurt mit den beiden späteren Weltmeistern Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein. „Da konnte man sich super entwickeln“, bewertet der Abwehrrecke den damaligen Wechsel an den Main. Trotzdem reift bei ihm der Gedanke nach einer Rückkehr in seine Geburtsstadt. Bevor die tatsächlich zustande kommt, verbucht Kliemann im April 1974 zunächst seinen bis dahin größten sportlichen Erfolg. Er erreicht mit den Adlern das Pokal-Endspiel. Der spätere Frankfurter Triumph bleibt ihm jedoch verwehrt, da das Endspiel aufgrund der im eigenen Land stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaft erst ausgetragen wird, als Kliemann bereits bei Hertha unter Vertrag steht.

Der „Funkturm“ ist wieder zu Hause

Die Vorbereitung auf seine erste Saison bei unseren Blau-Weißen startet mit einem Paukenschlag. Nach dem ersten Training tritt der ebenfalls neuverpflichtete Trainer Dettmar Cramer aus persönlichen Gründen zurück. Er begleitet die Mannschaft aber noch so lange ins Trainingslager, bis der Verein einen neuen Übungsleiter gefunden hat. Kliemann erinnert sich: „Dettmar Cramer war für mich ein Trainer-Idol, den kannte ich vom DFB aus den Jugendmannschaften. Wir haben ihn im Haus von Ludwig Müller rumgekriegt, weiterzumachen.“ Doch dazu kommt es nicht, da das Präsidium um Heinz Warneke mit dem in Deutschland eher noch unbekannten Georg Kessler bereits einen Nachfolger gefunden hat.

Uwe Kliemann im Zweikampf mit einem Braunschweiger.

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnt: Es wird eine historische Saison. Hertha gewinnt Mitte November zunächst das erste Berliner Derby der Bundesliga-Geschichte bei Tennis Borussia. Zwei Wochen später steht unser Team nach einem Sieg beim MSV Duisburg erstmals an der Tabellenspitze der Bundesliga. Bei der Rückkehr zum Flughafen Tempelhof wird die Mannschaft von einem Reporter begrüßt mit den Worten: „Sie sind jetzt Tabellenführer!“ Kliemann ist dieses Ereignis in besonderer Erinnerung: „Das war schon eine Situation, die die ganze Mannschaft ja überhaupt nicht kannte. Das war klasse.“ In der Rückrunde folgt zunächst erstmals vor heimischer Kulisse ein Erfolg gegen den amtierenden Meister Bayern München, der pikanterweise inzwischen von Dettmar Cramer gecoacht wird. Den Tabellenführer aus Mönchengladbach besiegen unsere Berliner ebenfalls und verringern den Abstand auf die Fohlen auf zwei Punkte. Auch das zweite Berliner Derby gegen TeBe wird gewonnen. Zum Titelgewinn reicht es aber nicht, obwohl die Herthaner als einzige Mannschaft zu Hause unbesiegt bleiben. Am letzten Spieltag wird unsere Elf durch einen Heimsieg gegen den VfL Bochum Vizemeister. Kliemann, der keine Spielminute der 34 Partien verpasst, äußert rückblickend: „Wir sind damals nicht Meister geworden, weil wir in der Rückrunde auswärts zu schwach waren. Auf der anderen Seite ist es die beste Platzierung, die eine Hertha-Mannschaft jemals erreicht hat – außer mit Hanne Sobek vor dem Krieg.“

Pokalfinals und Europacup

Der Vizemeister erreicht in der folgenden Spielzeit erstmals seit 1964 wieder ein Halbfinale um dem DFB-Pokal, muss sich aber beim 1. FC Kaiserslautern geschlagen geben. In der letzten Spielzeit unter Trainer Georg Kessler ziehen die Blau-Weißen dann tatsächlich ins Endspiel gegen den 1. FC Köln ein. Nach einem 1:1 nach Verlängerung unterliegt Hertha BSC zwei Tage später im Wiederholungsspiel mit 0:1. Kliemann blickt auf diese Begegnungen, die jeweils von fragwürdigen Schiedsrichterentscheidungen gegen die Berliner gekennzeichnet sind, zurück: „Beide Tore hat Dieter Müller geschossen, der mein Gegenspieler war. Speziell das Tor im Wiederholungsspiel war schwer zu verhindern, weil er nach vorne gelaufen ist und den Ball hat abrutschen lassen. Der ist ganz hinten in die lange Ecke reingefallen.“

Uwe Kliemann mit Coach Kuno Klötzer.

Unter dem neuen Trainer Kuno Klötzer qualifizieren sich die Berliner in der Spielzeit 1977/78 durch den dritten Tabellenrang für den UEFA-Pokal 1978/79. Die Mannschaft erreicht sensationell die beiden Halbfinal-Partien gegen Roter Stern Belgrad. Kliemann erinnert sich: „Wir haben 0:1 in Belgrad verloren. Da habe ich nicht gespielt, weil ich gelbgesperrt war. Im Rückspiel haben wir 2:0 geführt und hatten auch noch Chancen, das 3:0 zu machen. Dann haben wir einen reingekriegt und hatten danach noch zwei Riesenchancen zum 3:1. Den Namen Lattanzi (Schiedsrichter, Anm. d. Red.) werde ich in meinen Leben nicht vergessen. Da haben sie Erich Beer im Sechzehner umgetreten, der konnte im ganzen Spiel nicht mehr richtig laufen. Trotzdem hat der den Elfmeter nicht gegeben. So haben wir 2:1 gewonnen, aber wir waren durch die Auswärtstorregel eben raus.“

Wenig später erreicht Hertha erneut das DFB-Pokal-Endspiel, in dem man sich Fortuna Düsseldorf erst kurz vor Ende der Verlängerung geschlagen geben muss. Den entscheidenden Treffer von Wolfgang Seel leitet der Mannschaftskapitän in der 118. Minute mit einem Fehlpass selbst ein: „Ich bekomme den Ball circa 20 Meter vor dem Tor auf der rechten Seite, gucke nach vorne und denke: Da ist ja keiner, dann drehst du dich mal herum. Dann drehe ich mich aber zur falschen Seite und sehe Seel von rechtskommend nicht. Ich spiele zurück zu Nigbur, der kriegt den Ball so ein bisschen an die Schulter und prallt heraus. Seel macht den direkt rein, mit dem linken Fuß von links. Das macht er bei zehn Versuchen neun Mal nicht, aber da hat es geklappt. Das war dann die Niederlage“, erinnert sich unser ehemaliger Verteidiger. 

Nach der Saison verliert Hertha aufgrund finanzieller Engpässe mit Torwart Norbert Nigbur, Ete Beer und Hanne Weiner tragende Säulen und steht zur Winterpause 1979/80 auf dem letzten Tabellenrang. In die Rückrunde startet die Elf unter dem auf den Trainerposten zurückgekehrten Fiffi Kronsbein. Vor dem Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt kommt es zum Eklat zwischen der Vereinsführung und dem Mannschaftskapitän. Am Vorabend der Partie will sich der Reisetross die Zweitliga-Begegnung im nahegelegenen Offenbach anschauen. Kliemann echauffiert sich, dass Kronsbein zu spät zur Abfahrt des Mannschaftsbusses kommt. Im Nachgang der anschließenden verbalen Auseinandersetzung mit Vereinspräsident Wolfgang Holst muss er die Kapitänsbinde zurückgeben.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass sich die Wege von Hertha und Kliemann nach Saisonende trennen werden. Der Vorfall ändert jedoch nichts an seiner Einstellung, für Mannschaft und Verein erneut über die Grenzen der eigenen Gesundheit zu gehen. Das zeigt sich auch in der Vorbereitung auf das Spiel gegen den Hamburger SV, als die Mannschaft im Umlauf des Olympiastadions trainieren muss. Dort zieht sich Kliemann an einem Metallrohr des Geländes eine klaffende Wunde am linken Knie zu, die genäht werden muss. Im Spiel reißt die Verletzung dann erneut auf, sodass er nach gut einer Stunde ausgewechselt werden und für die nächsten beiden Partien pausieren muss. Das letzte Spiel im blau-weißen Trikot bestreitet der Berliner am 34. Spieltag beim 4:2 gegen den VfB Stuttgart. Dieser Sieg reicht aber leider nicht zum Klassenerhalt. Hertha muss aufgrund der schlechteren Tordifferenz aus der Bundesliga absteigen. 

Vom Spieler zum Trainer bei Hertha BSC

1984 holt Wolfgang Holst den Funkturm als Trainer zu Hertha zurück. Trotz der beiden umjubelten Derby-Siege gegen Blau-Weiß 90 gelingt der Klassenerhalt in der 2. Bundesliga jedoch erst am 37. und vorletzten Spieltag. Auch die folgende Saison gestaltet sich sportlich zunehmend bedrohlich, obwohl die Herthaner gegen Tennis Borussia erneut einen Derby-Erfolg verbuchen. Während die Fans hinter dem Trainer stehen, gerät Kliemann mit Teilen der Presse aneinander. Nach lediglich vier Siegen aus 20 Partien wird er unter der Führung des gerade gewählten Präsidenten Heinz Roloff am 2. Dezember 1985 seines Postens enthoben. „Ich nehme aus dieser Zeit mit, dass der Trainer-Job für mich einfach nicht das Richtige war und vielleicht auch zu früh kam. Meine Stärken sind eigentlich Talente zu entdecken“, resümiert der Hauptstädter.

Leistungsnachweis im blau-weißen Trikot

Für Hertha BSC absolviert Kliemann in sechs Spielzeiten 168 Bundesliga-Spiele, in denen er 13 Tore erzielt. Im DFB-Pokal ist er in 29 Partien aktiv und trifft dabei vier Mal. Im UEFA-Pokal repräsentiert er die blau-weißen Farben in sieben Spielen. Wie sehr seine Leistungen und seine stets schonungslose Einsatzbereitschaft geschätzt werden, zeigt sich nachhaltig anlässlich des 111. Vereinsjubiläums, als er von den Fans in die Jahrhundertelf unseres Hauptstadtclubs gewählt wird.

Hertha BSC gratuliert Uwe Kliemann recht herzlich zum 75. Geburtstag und wünscht seinem ehemaligen Mannschaftskapitän auch weiterhin alles erdenklich Gute in allen Lebensbereichen!

von Frank Schurmann