Gruppenbild unserer U15 beim Besuch in Auschwitz.
Akademie | 13. Mai 2024, 16:59 Uhr

U15: Eine bewegende Reise

Hinter den Jungs unserer U15 liegen so ereignisreiche wie bewegende Tage. Im Rahmen eines Holocaust-Projekts reisten die Blau-Weißen Mitte April durch Tschechien und Polen. Gemeinsam mit elf weiteren Vereinen aus fünf unterschiedlichen Ländern besuchten unsere Nachwuchstalente dabei nicht nur die Gedenkstätten in Auschwitz und Birkenau, sondern trugen auch einen sportlichen Vergleich in Turnierform aus. „Als Hauptstadtverein mit einer langen und großen Historie besitzen wir eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir möchten die Erinnerungskultur gerade in diesen schwierigen Zeiten aufrechterhalten und den Jungs die Historie näherbringen, indem sie sich intensiv mit den furchtbaren und menschenverachtenden Geschehnissen des NS-Regimes auseinandersetzen. Wir sind sehr froh, dass wir Teil dieser so bedeutsamen Bildungsfahrt sein durften“, unterstreicht unser stellvertretender Akademieleiter Sasan Gouhari die Wichtigkeit dieses Projekts. herthabsc.com hat den Ausflug, den unser Partner STADT UND LAND Wohnbauten-Gesellschaft unterstützte, begleitet.

Bildergalerie: U15-Projekt in Tschechien & Polen

Donnerstag: Um 04:30 Uhr treffen sich 21 junge Herthaner und das aus Chefcoach Kostas Kotsifakis sowie den beiden Ex-Profis Tunay Torun und Patrick Ebert bestehende Trainerteam am Flughafen BER. Die Müdigkeit steht allen ins Gesicht geschrieben. Schließlich hat der nächtliche Schlaf nur wenige Stunden angedauert. Noch am Vorabend haben die Jungs auf dem Platz gestanden und durch einen 1:0-Erfolg beim BFC Dynamo den Einzug ins Finale des Berlin-Pokals perfekt gemacht. Der 2:0-Sieg in Jena, dem zu diesem Zeitpunkt ärgsten Verfolger in der C-Junioren-Regionalliga Nordost, liegt ebenfalls noch keine ganze Woche zurück. Die Herthaner führen die Staffel aufgrund des Dreiers mit neun Punkten Vorsprung auf die Thüringer an. „Was die Jungs in diesen beiden Wettbewerben abliefern, wie sie dabei dominieren – das ist schon herausragend und alles andere als selbstverständlich, sondern das Resultat harter Arbeit. Wir gehen seit einem Dreivierteljahr immer wieder ans Limit und wollen das im letzten Saisondrittel bestätigen“, verrät Kotsifakis, der das Team zu Saisonbeginn übernommen hat.

Nach der Landung im polnischen Krakau geht es mit dem Mannschaftsbus des FC Baník Ostrava, tschechischer Erstligist und Gastgeber der internationalen Jugendbegegnung, vorbei an grünen Wiesen und gelben Rapsfeldern von einem deutschen Nachbarland ins andere. Ihr Quartier schlagen unsere Berliner in Ostravice auf. Die kleine Gemeinde liegt am gleichnamigen Fluss sowie am Fuße des höchsten Berges der mährisch-schlesischen Beskiden, dem Lysá hora. Zur Begrüßung gibt es einen Schauer aus Schnee und Regen. Nachdem unsere Hauptstädter ihre bungalowähnlichen Berghütten bezogen haben, steht eine Trainingseinheit auf dem Programm. Eine Videoanalyse sowie ein teaminterner Wettkampf an der Tischtennisplatte beschließen den Tag.

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Ich erlebe die Mannschaft als einen zusammengeschweißten Haufen und ein Team, das sich immer zur Seite steht. Deswegen bin ich tagtäglich stolz auf die Jungs.
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-Kostas Kotsifakis

Freitag: Die Vorrunde des Nations Cup steigt in der Akademie des FC Baník Ostrava. Neben unserer Alten Dame treten beispielsweise auch der 1. FC Köln und Manchester United an. „Das Ganze ist in den vergangenen Jahren immer weitergewachsen und findet nun erstmals in dieser Größenordnung statt. Die Nachfrage ist riesig. Der tschechische Staatspräsident Petr Pavel hat sogar die Schirmherrschaft übernommen“, erzählt Gerald Prell von der deutsch-tschechischen Fußballschule. Diese existiert seit 2002, bringt Kinder aus Tschechien, Deutschland sowie vielen weiteren Ländern über den Fußball zusammen und steht hinter dem Projekt. Die Erstauflage hat 2016 mit Hertha BSC und dem FC Liverpool stattgefunden. „Ganz wichtig: Die Mannschaften treffen sich nicht nur zum sportlichen Kräftemessen, sondern lernen auch gemeinsam aus der Geschichte des Holocausts“, berichtet Prell.

Unsere Herthaner unterliegen in der ersten Partie über 40 Minuten zunächst Slavia Prag mit 0:1. Es folgt vor den Augen einiger mitgereister Eltern ein 2:1-Sieg gegen den MŠK Žilina durch die Treffer von Denniz Ali sowie Isaiah Seretis. Das Duell mit dem Honvéd FC aus Budapest geht als Unentschieden in die Wertung ein. Nach dem Ali Salman die Führung markiert hatte, haben unsere Jungs in der Schlussphase aufgrund wiederholter Beleidigungen geschlossen den Platz verlassen. „Es war in diesem Moment die einzig richtige Maßnahme. Als Hertha BSC stehen wir ganz klar hinter unseren Spielern“, macht Gouhari deutlich. „Ich erlebe die Mannschaft als einen zusammengeschweißten Haufen und ein Team, das sich immer zur Seite steht. Deswegen bin ich tagtäglich stolz auf die Jungs – auf die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen, aber auch auf den Respekt, den sie anderen entgegenbringen“, unterstreicht zudem Kotsifakis. Selina Koch, die an der Tour als Sportpsychologin für unsere Akademie teilnimmt, sagt: „Wir haben mit den Jungs direkt darüber gesprochen und werden schauen, ob darüber hinaus Redebedarf besteht.“

Auch wenn es nach diesem Abschluss zur Nebensache gerät: Als einer der zwei besten Gruppendritten gelingt unserer Auswahl der Einzug in die Endrunde. Zurück im Hotel lauscht die Truppe noch einem Vortrag zum Holocaust.

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Das Projekt ist eine super Möglichkeit, um historisches Wissen zu vermitteln. Wir wollen den Jungs mehr als nur die fußballerische Ausbildung mitgeben – und zwar gewisse Normen und Werte, die uns als Verein wichtig sind.
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-Selina Koch

Samstag: Im Stadion na Bazalech, von 1959 bis 2015 Spielstätte des FC Baník Ostrava und mittlerweile Trainingszentrum des einstigen Europapokal-Halbfinalisten, bekommen es die Kotsifakis-Schützlinge bereits um 9:00 Uhr mit Sparta Prag zu tun. Unsere Jungs präsentieren sich ausgeschlafen und ziehen dank eines 2:0-Erfolgs ins Halbfinale ein. Ibrahim Saleh und Kennet Eichhorn haben dabei die sehenswerten Tore besorgt und kollektiven Jubel ausgelöst. In der Runde der letzten Vier bezwingen unsere Blau-Weißen den Lokalmatadoren vom FC Baník dank Israel Ogettes Qualitäten als Joker mit 1:0. Für den erstmaligen Gewinn des Turniers bedarf es im Anschluss einer erfolgreichen Revanche gegen Slavia Prag. Zwar dominieren unsere Herthaner das Finale, treffen zwei Mal das Aluminium und scheitern mehrfach am herausragenden Keeper des Kontrahenten. Den einzigen Treffer des Endspiels erzielen aber die Rot-Weißen. „Ich bin trotzdem unfassbar stolz auf die Jungs! Sie schaffen es, Dinge sehr schnell zu adaptieren, besitzen eine große Anpassungsfähigkeit und lernen aus Fehlern – das alles auf internationalem Top-Niveau. Wir haben uns von Spiel zu Spiel gesteigert und am Ende an unserem Maximum gespielt – auch wenn wir dafür nicht das Maximale bekommen haben“, resümiert der Übungsleiter. Die Siegerehrung nimmt kein Geringerer als Milan Baroš vor. Der ehemalige tschechische Nationalspieler hat in Ostrava seine fußballerische Ausbildung absolviert und mit dem FC Liverpool 2005 in der UEFA Champions League triumphiert. Von ihm erhält Kennet Eichhorn den Pokal für den besten Spieler des Turniers. „Mir wäre es natürlich lieber gewesen, auf Platz 1 zu landen. Trotzdem freue ich mich über die Auszeichnung“, so der 14-Jährige.

Im Anschluss halten Spieler aller Teams voreinander beeindruckende und äußerst bewegende Referate auf Englisch. „Ziel der Präsentationen war es, am Beispiel des eigenen Vereins sowie der eigenen Stadt näher zu bringen, wie es jungen jüdischen Fußballern und Menschen in der Zeit des 2. Weltkriegs ergangen ist“, sagt Prell. Unsere Berliner stellen in einem Video die Zeitzeugin Ruth Winkelmann vor. Ihre Botschaft an die Talente: „Erhebt nicht die Faust, sondern reicht euch die Hand und sprecht miteinander!“ Außerdem erzählen die Heranwachsenden auch die Geschichte unseres ehemaligen Mannschaftsarztes, Dr. Hermann Horwitz. „Es ist sehr viel Vorarbeit geleistet worden. An dieser Stelle muss ich Stephan Wall und Matthias Matz (pädagogische Mitarbeiter in unserer Fußball-Akademie, Anm. d. Red.) hervorheben, die mit den Jungs die Vorträge gestaltet haben. Außerdem haben wir ihnen als Staff erklärt, was da auf uns zukommt, wie wir damit umgehen und wie wir uns präsentieren möchten“, erläutert Koch. „Das Projekt ist eine super Möglichkeit, um historisches Wissen zu vermitteln. Wir wollen den Jungs mehr als nur die fußballerische Ausbildung mitgeben – und zwar auch gewisse Normen und Werte, die uns als Verein wichtig sind“, so die Sportpsychologin weiter.

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Den Jungs wurde nachdrücklich vor Augen geführt, zu welchen unfassbaren Handlungen Menschen in der Lage sind. Unsere Verantwortung ist es, diese nicht zu vergessen und dafür zu sorgen, dass sie sich nie wiederholen.
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-Sasan Gouhari

Sonntag: In der abschließenden Nacht hat sich eine dichte Schneedecke rund um das Hotel ausgebreitet. Zeitig und gemeinsam mit dem Team von Manchester United brechen unsere Berliner auf in Richtung Gedenkstätte Auschwitz. „Die Spieler sehen dort, welche Auswirkungen es hat, wenn Rassismus und Antisemitismus unvorstellbare Ausmaße erreichen“, sagt Prell. Die jungen Fußballer besichtigen zuerst das Stammlager und anschließend das Vernichtungslager Birkenau, wo Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus systematisch ermordet wurden. Schier unendlich lange Schienen und alte Waggons zeugen von den Deportationen – unzählige Massen an Hinterlassenschaften der zu Tode gekommenen Menschen wie Koffer, Gehhilfen, Schuhe und Haare dokumentieren nach wie vor die schrecklichen Gräueltaten. Auch die Baracken, in die die Nazis hunderte Männer, Frauen und Kinder pferchten, sowie Zäune samt Stacheldraht, sind bis heute sichtbare Zeugnisse der abscheulichen Verbrechen. „Den Jungs wurde nachdrücklich vor Augen geführt, zu welchen unfassbaren Handlungen Menschen in der Lage sind. Unsere Verantwortung ist es, diese nicht zu vergessen und dafür zu sorgen, dass sie sich nie wiederholen. Erst recht, da es schon bald keine Zeitzeugen mehr geben wird“, betont Gouhari, der hinzufügt: „Es ist noch einmal etwas ganz anderes, vor Ort zu sein, die Räumlichkeiten und Relikte zu sehen und die Geschichten dazu zu hören, als nur im Unterricht darüber zu sprechen. Das alles ist nur schwierig in Worte zu fassen. Ich habe mit ein paar Jungs gesprochen, die jetzt schon Profis sind und vor ein paar Jahren an dieser Reise teilgenommen haben – auch bei ihnen sind die Eindrücke noch immer präsent.“

Umso wichtiger wird es in den folgenden Tagen und Wochen, darüber zu reden. „Wir werden das Ganze erst einmal etwas sacken lassen, ehe wir das Erlebte gemeinsam nachbereiten“, berichtet Koch. Am Ende der Führung entzünden Spieler aller Teams Kerzen vor dem Mahnmal. Für unsere Berliner übernimmt Kennet Eichhorn diesen Part. „Ich fand die Reise sehr beeindruckend. Der 2. Weltkrieg ist gerade auch Thema im Geschichtsunterricht, wir schreiben bald einen Test darüber. Es war sehr krass, dass alles in der Realität zu sehen und sich Gedanken über die ganzen schlimmen Geschehnisse zu machen“, verrät der Zehntklässler. Anschließend geht es für unsere Hauptstädter über Krakau zurück nach Berlin – mit im Gepäck: Sportlicher Erfolg, viel neues Wissen und jede Menge Eindrücke, die es nach und nach zu verarbeiten gilt.

von Erik Schmidt