Fabian Reese springt nach einem Tor zum Jubeln in die Luft.
Profis | 28. Februar 2024, 18:41 Uhr

„Wir laden uns gegenseitig auf“

„Houdinize” stellt in der US-amerikanischen Alltagssprache ein Synonym für „entkommen“ dar. In Berlin könnte sich stattdessen künftig „reesen“ durchsetzen. Denn die Inspiratoren der beiden Wortschöpfungen, Harry Houdini und Fabian Reese, haben Grundlegendes gemein. Wie der von 1874 bis 1926 lebende Entfesselungs- und Zauberkünstler einst verzückt unser Herthaner heute regelmäßig sein Publikum. Wie der Magier damals verfügt der 26-Jährige dieser Tage über ein buntes Repertoire an Kunststücken. Die liebste Aufführung aller Blau-Weißen: Der Linksaußen durchbricht gepusht von den Fans scheinbar unüberwindbare Abwehrketten, befreit sich von der Umklammerung lästiger Verteidiger und verwandelt in der Folge sehenswert ins gegnerische Tor – im Anschluss springt unsere Nummer 11 für gewöhnlich erst jubelnd in die Höhe, um sich kurz darauf vor unseren Anhängerinnen und Anhängern zu verneigen. „Für mich ist jeder Spiel- ein Feiertag. Ich habe immer gesagt, dass ich mein Herz auf dem Platz lasse – das honorieren die Leute. Wir laden uns gegenseitig auf“, erklärt der Rechtsfuß, der seinen Vertrag bei unserem Hauptstadtclub in der vergangenen Woche bis 2028 verlängert hat. Am Freitag (01.03.24, 18:30 Uhr, Tickets hier) folgt für den Norddeutschen nun ein weiterer Höhepunkt: Das Wiedersehen mit der KSV Holstein. Vor dem Heimauftritt gegen seinen Ex-Verein sprach der 1,87-Meter-Mann im Interview mit herthabsc.com über die Heimat, den Kontrahenten und einen wichtigen Schritt in seiner Entwicklung.

herthabsc.com: Fabi, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst! Lass uns aus gegebenem Anlass zunächst über Kiel sprechen. Was bedeutet dir diese Stadt?
Fabian Reese: Kiel ist der Ort, an dem ich geboren wurde und die ersten 15 Jahre meines Lebens verbracht habe. Meine Familie lebt nach wie vor in Kiel und gefühlt kenne ich jede Straße dort. Außerdem hatte ich in der Stadt und bei Holstein bis zum vergangenen Sommer noch einmal dreieinhalb wunderschöne Jahre. Demzufolge habe ich nichts als gute Erinnerungen an diesen Ort. Mittlerweile bin ich leider zu selten in Kiel, da der Alltag sehr fordernd ist und mein Hauptfokus auf Berlin liegt. Aber gerade an Weihnachten und im Sommer schaue ich natürlich vorbei.

herthabsc.com: Am Freitag kommt Kiel nun aber quasi zu dir. Wie viele deiner Leute treten denn die Reise in unsere Hauptstadt mit an?
Reese: Meine Mutter macht das Auto voll. Meine Großeltern werden zum ersten Mal überhaupt in das Olympiastadion kommen. Meine Oma ist 90 Jahre alt und mein Opa Ende 80. Beide haben mich damals, als ich gerade so laufen konnte, schon zu Turnieren gefahren. Nun möchten sie unbedingt sehen, wo ich inzwischen spiele. Normalerweise sitzen sie als treue Fans vor dem Fernseher – umso schöner ist es, dass sie diesmal sogar im Stadion dabei sein werden. Mein Opa besitzt seit vielen Jahren eine Dauerkarte bei Holstein, aber ich glaube, dass die Liebe zum Enkel überwiegt. (schmunzelt) Im Ernst: Sie sollen einfach ein schönes Spiel sehen und müssen sich wegen mir auch nicht entscheiden.

herthabsc.com: Du bist ein sehr familiärer Mensch. Was bedeutet der Begriff „Heimat“ generell für dich?
Reese: Für mich ist Heimat vor allem auch dort, wo ich glücklich mit meiner Freundin bin.

herthabsc.com: Aktuell ist das in Berlin der Fall. Was macht unsere Hauptstadt für dich aus? Was sind die größten Unterschiede zu Kiel?
Reese: In Berlin lässt sich sehr viel erleben. Die Größe ist im Vergleich zu Kiel ein riesiger Unterschied. In Berlin gibt es ein unerschöpfliches Buffet an Möglichkeiten. Wer hier in den Mittzwanzigern eine Weile leben darf, kann sich den eigenen Horizont, was Welt- und Weitblick in jede Richtung angeht, sehr erweitern. Das prägt nachhaltig.

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Holstein spielt eine grandiose Saison. Die Leute arbeiten akribisch – sie stehen zurecht dort, wo sie aktuell stehen. Das Team ist mit und gegen den Ball extrem gut eingestellt und maximal intensiv unterwegs.
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-Fabian Reese

Fabian Reese holt auf dem Trainingsplatz zum Torschuss aus.
Überall Verbesserungspotenzial: Unsere Nummer 11 schiebt gerne Sonderschichten nach dem Training.

herthabsc.com: Wie schon erwähnt, kommt es nun auf sportlicher Ebene zum zweiten Aufeinandertreffen dieser beiden für dich so speziellen Städte in der laufenden Saison. Wie blickst du auf das neuerliche Wiedersehen mit deinem Heimatverein?
Reese: Ich freue mich sehr, es wird definitiv ein besonderes Spiel. Die Liebe zu Holstein muss dann allerdings für 90 Minuten ruhen. Was das Ganze darüber hinaus außergewöhnlich macht: Ich kenne einige meiner Gegenspieler besser als sonst – zudem kann ich auch mit dem kompletten Trainer- und Physioteam sowie Staff auf eine sehr schöne, intensive Zeit zurückblicken. Aber wie das so im Leben ist, wenn sich die Wege trennen, gelingt es doch einmal weniger, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Mit dem einen oder anderen tausche ich mich ab und an noch aus. Grundsätzlich bin ich jedoch nicht der Mensch, der ständig schreibt. Mir ist es wichtiger, die Leute bei Begegnungen in den Arm zu nehmen.

herthabsc.com: Die KSV Holstein hat jüngst nach einem deutlichen Sieg in Paderborn zu Hause spektakulär und knapp gegen St. Pauli verloren: Was kommt da für ein Gegner auf euch zu?
Reese: Holstein spielt eine grandiose Saison. Die Leute arbeiten akribisch – sie stehen zurecht dort, wo sie aktuell stehen. Das Team ist mit und gegen den Ball extrem gut eingestellt und maximal intensiv unterwegs. Die Kieler spielen einen dominanten und zielgerichteten Fußball. Gleichzeitig können sie mit Blick auf die Rückeroberung der Kugel eine extreme Gier entwickeln. Sie ist vielleicht die Mannschaft, die den Ball am besten jagt. Hinzu kommt, dass Holstein eine eingeschworene Einheit auf dem Feld bildet. Die Jungs möchten stets unbedingt gewinnen und investieren in jeder Phase des Spiels alles dafür. Das macht sie so erfolgreich.

herthabsc.com: Auf euch wartet also eine ziemliche Herausforderung. Wenn es aber einer wissen muss, dann du – wie sind die Störche zu knacken? Hat Pál diesbezüglich auch schon den einen oder anderen Rat von dir eingeholt?
Reese: Ich will jetzt noch nicht zu viel verraten. (grinst) Wir haben da so ein, zwei Überlegungen. Im Hinspiel ging es auch wild zur Sache – mit dem glücklicheren Ende für uns. Wir müssen auch diesmal wieder absolut ans Limit gehen, einen guten Tag erwischen, unsere Chancen nutzen und hinten möglichst wenig Gegentore kassieren. Es ist eigentlich ganz einfach – so wie jedes andere Spiel auch. (lacht) Falls Pál auf mich zukommt, gebe ich natürlich gerne meine Einschätzung. Strenggenommen, schaue ich gerade aber auch nur die Spiele und kenne keine Interna. Im Fußball kann sich bekanntlich sehr schnell eine Menge verändern. Glücklicherweise haben wir Fachleute und Experten mit dem absoluten Durchblick, wie sie sich taktisch aufstellen. Am Ende des Tages kommt es aber darauf an, um 18:30 Uhr bereit dafür zu sein, die drei Punkte im Olympiastadion zu behalten.

herthabsc.com: Ihr habt am vergangenen Wochenende mit Braunschweig die Punkte geteilt. Was gilt es, besser zu machen? Woran lässt sich anknüpfen?
Reese: Die erste Halbzeit war zum Vergessen – wir haben offensiv wie defensiv nicht stattgefunden. Die zweite Halbzeit haben wir mit einem ganz anderen Selbstverständnis und deutlich besserer Energie absolviert. Auch, wenn wir es am Ende zu schlecht ausgespielt und ein paar falsche Entscheidungen getroffen haben. Einen Auftritt wie vor der Pause können wir uns gegen Kiel auf keinen Fall erlauben. Es wird darauf ankommen, die Grundtugenden von Anfang an abzurufen und mit Intensität dagegenzuhalten. Das Fußballerische kommt dann von alleine.

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Wir haben uns wieder stabilisiert und wichtige Siege eingefahren. Nun befinden wir uns in einer richtungsweisenden Phase – durch Erfolge kann sich das Momentum noch einmal positiv verändern.
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-Fabian Reese

herthabsc.com: Nach einem schwierigen Auftakt in das neue Jahr habt ihr zuletzt sieben Zähler aus drei Partien geholt. Wie bewertest du die Entwicklung seit der Winterpause?
Reese: Wir hatten einen sehr turbulenten Januar inklusive einer verkorksten Woche. Inzwischen haben wir uns wieder stabilisiert und wichtige Siege eingefahren. Nun befinden wir uns in einer richtungsweisenden Phase – durch Erfolge kann sich das Momentum noch einmal positiv verändern. Ich sage immer wieder, dass wir von Woche zu Woche schauen müssen. Deswegen zählen am Freitag nur drei Punkte.

herthabsc.com: Du musstest krankheitsbedingt vor und nach dem Jahreswechsel einige Zeit aussetzen. Wie fühlst du dich aktuell nach dieser längeren Pause?
Reese: Ich bin nahezu wieder bei 100 Prozent. Die vergangenen Wochen haben mir gutgetan. Es war schon eine sehr schnelle Wiedereingliederung. Mein Körper hat ein paar Reaktionen gezeigt – aber gerade die zurückliegenden beiden Spiele konnte ich fast über die gesamte Distanz gehen. Es wird von Mal zu Mal besser.

herthabsc.com: Du hast in Braunschweig eine weitere Vorlage geliefert und somit erneut einen Scorerpunkt gesammelt. Es lässt sich feststellen, dass du in Sachen Torbeteiligungen vor allem in den jüngsten beiden Spielzeiten einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht hast – was sind die Gründe dafür?
Reese: Das ist nicht so einfach zu erklären. Ich denke, dass mehrere Dinge den Ausschlag geben. Zum einen geht es um eine gewisse Erfahrung, zum anderen aber auch um eine gewisse Ruhe und akribische Arbeit. Beispielsweise beschäftige ich mich viel mit Videoanalysen, die mir sagen, in welchen Räumen ich stehen muss, um Tore zu schießen oder wo ich die Bälle hinspielen muss, um Tore vorzubereiten. Das hat vergangene Saison schon gut funktioniert und funktioniert diese Saison fast sogar noch besser. Da bin ich nach wie vor echt hinterher mit dem Staff.

herthabsc.com: Du bist als selbstkritischer und sehr ehrgeiziger Profi bekannt. Wo siehst du in deinem Spiel noch Verbesserungspotenzial?
Reese: Überall. Ich kann und muss mich in sämtlichen Bereichen verbessern, um dem Team noch mehr zu helfen und die nächsten Schritte in meiner Entwicklung zu gehen. Man muss immer ein Stück weit getrieben davon sein, neue Ziele zu erreichen. Dafür muss man viel arbeiten, alles dem Fußball unterordnen, Dinge hinterfragen und auch Veränderungen herbeiführen. Es geht nicht immer nur nach oben, es kommen auch Wellen vor. Entscheidend ist es, diese Wellen weniger werden zu lassen.

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Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und nehme sie als Ansporn, weiterzuarbeiten, besser zu werden und noch mehr zu helfen. Alles in allem bin ich einfach nur froh, gerade hier zu sein.
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-Fabian Reese

Fabian Reese verbeugt sich im leeren Olympiastadion
Seine Bühne: Fabian Reese trumpft im Olympiastadion regelmäßig groß auf.

herthabsc.com: Apropos Wellen: Durch das Olympiastadion bist du zuletzt nicht nur gegen Magdeburg sehr erfolgreich gesurft. Was macht die besondere Symbiose zwischen dieser Spielstätte, den Fans und dir aus?
Reese: Es ist ein unglaublich großes und ruhmreiches Stadion. Darüber hinaus habe ich vom ersten Tag an einen extremen Zuspruch der Fans bekommen. Für mich ist jeder Spiel- ein Feiertag. Ich habe immer gesagt, dass ich mein Herz auf dem Platz lasse – das honorieren die Leute. Wir interagieren und laden uns gegenseitig auf, um dem Team bestmöglich zu helfen. Die Fans bringen mir Respekt und Liebe entgegen, dafür zolle ich ihnen den Tribut, den sie verdienen.

herthabsc.com: Logischerweise war die Freude unter allen Herthanerinnen und Herthanern über deine Vertragsverlängerung riesig. Wie hast du die vielen positiven Reaktionen wahrgenommen?
Reese: Wahrscheinlich hatte nicht jeder damit gerechnet. Umso schöner waren die Rückmeldungen der Fans und Leute im Verein sowie in der Stadt. Ich habe mich total geehrt gefühlt und mich über jede einzelne Nachricht gefreut. Am Abend habe ich aber das Handy auch mal in den Flugmodus gestellt, weil es ein bisschen zu viel wurde. (lacht) Zumal zwei Tage später schon das nächste Spiel anstand. Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und nehme sie als Ansporn, weiterzuarbeiten, besser zu werden und noch mehr zu helfen. Alles in allem bin ich einfach nur froh, gerade hier zu sein. Ohne Hertha wäre dieser Weg und meine Entwicklung nicht möglich gewesen.

herthabsc.com: Du hast den Flugmodus als Stichwort geliefert. Wie schaltest du eigentlich von dem alltäglichen Trubel am besten ab? Was steht in deiner Freizeit auf dem Programm? Wann geht es mal wieder auf den Flohmarkt?
Reese: Meine Freundin plant schon den nächsten Stand – zuletzt war nur das Wetter noch zu kalt. (grinst) Ich werde meine Follower natürlich daran teilhaben lassen und sie informieren, wann und wo es den Stand gibt. Am kommenden Wochenende ist wegen des Kiel-Spiels meine Familie in Berlin, da gehen wir vielleicht zusammen etwas essen. Ansonsten führe ich eher ein Rentnerleben. Ich bin sehr viel zu Hause und versuche, mich bestmöglich auf den nächsten Tag vorzubereiten, gut zu essen, gut zu regenerieren und gut zu schlafen. Mein Körper ist mein Kapital. Darüber hinaus verbringe ich viel Zeit mit meiner Freundin. Wir liegen auch mal auf der Couch, sind faul und gucken irgendetwas bei Netflix. Zudem lese ich hin und wieder ein Buch. Ich glaube, die Mischung macht es im Leben. In Berlin gibt es tausend Möglichkeiten, ich war beispielsweise auch schon beim Ballett. Ich finde es total spannend, sich da nicht auf eine Sache total festzulegen, offen für Neues zu sein und über den Tellerrand hinauszuschauen.

von Erik Schmidt