Das Stadion am Gesundbrunnen, die Plumpe
Historie | 9. Februar 2024, 10:00 Uhr

100. Geburtstag der „Plumpe“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nennt der BFC Hertha 1892 den „Schebera-Sportplatz“ auf der Nordseite der Behmstraße – abgesehen von einer kurzen Unterbrechung – sein Zuhause. Doch ab 1919 wird es für den Club immer schwieriger, die fällige Pacht für die Spielstätte aufzutreiben. Die Situation spitzt sich zu, bis Gastwirt Joseph Schebera den Platz 1923 schließlich an den SV Norden-Nordwest 98 veräußert. Hertha 92 ist dadurch praktisch heimatlos. Die Fusion mit dem Berliner Sport-Club im selben Jahr bildet einen Ausweg aus dieser misslichen Situation. Finanzstarke Vereinsmitglieder des BSC hatten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gelände der ehemaligen "Schebera-Eisbahn" südlich der Behmstraße erworben. Dort, nahe den Gleisen des Bahnhofes Gesundbrunnen bzw. der Swinemünder Brücke ("Millionenbrücke"), entsteht das Stadion am Gesundbrunnen.

Heimsieg zur Eröffnung

Am 9. Februar 1924 eröffnen die Blau-Weißen den neuen „Hertha-Platz“ mit einem 1:0-Sieg gegen den VfB Pankow. Erich Gülle geht vor 3.000 Fans als erster Torschütze in die Annalen ein. Die „Plumpe“ gewinnt aufgrund des sportlichen Aufschwungs schnell an überregionaler Bedeutung. Ihren Spitznamen verdankt die Spielstätte einer Ableitung des Berliner Volksmundes für eine in der Behmstraße vorhandene Wasserpumpe, die mit einer Heilquelle im namensgebenden Ortsteil Gesundbrunnen verbunden ist. Nicht erst durch den Gewinn der beiden deutschen Meistertitel 1930 und 1931 hat sich Hertha BSC zu einer gesellschaftlichen Attraktion der Stadt entwickelt.

Bildergalerie: 100 Jahre Stadion am Gesundbrunnen

In Loge 3 auf der Tribüne ist der „Hertha-Stammtisch“ beheimatet, zu dem sich Prominente wie Schauspieler Hans Albers und Bernhard Minetti sowie Schriftsteller Joachim Ringelnatz gesellen. Die sich gegenüberliegenden und steil aufsteigenden Stehbereiche namens „Zauberberg“ und „Uhrenberg“ sind stets bestens gefüllt. Das gilt auch für die 3.600 Sitzplätze fassende Holztribüne, die allerdings im März 1929 einem Brand zum Opfer fällt. Die Brandstifter werden nie ausfindig gemacht.

Platzrecht bleibt erhalten

Derweil nehmen die Unstimmigkeiten mit den Verantwortlichen des Berliner Sport-Clubs zu. Langwierige Verhandlungen und diverse Kompensationszahlungen münden letztlich in der Trennung. Es folgt die Neukonstituierung unter dem Namen Hertha BSC e.V. am 5. November 1931. Das Spielrecht verbleibt auf dem gepachteten Platz am Gesundbrunnen. Bis 1944 erringt die Alte Dame noch vier lokale Meisterschaften, die Elf von der "Plumpe" kann aber nicht an die glorreichen Zeiten der vergangenen Jahre anknüpfen.  

Platzarbeiten an der Plumpe, Millionenbrücke im Hintergrund.

Schutt und Asche - der Wiederaufbau

Der 2. Weltkrieg hinterlässt schwere Schäden an der „Plumpe“, der Platz ist übersät mit Bomben und Granatsplitterlöchern – die bis kurz vor Kriegsende noch stehengebliebene Holztribüne liegt in Schutt und Asche. Der Verein erhält das Gelände, das sich nun direkt an der Grenze zum sowjetischen Sektor befindet, erst 1950 zurück. Es sind Wilhelm Wernicke und Karl Windgassen, die den Magistrat vom Bau eines neuen Großstadions im nahegelegenen Humboldthain abbringen und vom Ausbau des „Hertha-Platzes“ überzeugen. Im Vereinsarchiv existieren noch heute Zeichnungen für eine neue Haupttribüne und ein schmuckes Clubhaus – beide werden mangels finanzieller Mittel jedoch nie realisiert. 

Finanzielle Schieflage nach Wiederaufbau

Letztlich übernimmt der 1949 neu gegründete Verband Berliner Ballspielvereine (VBB) die Renovierung. In monatelanger Arbeit werden die Ränge und Spielfläche wieder hergestellt. Allerdings treiben die hohen Kosten sowie die Einnahmeverluste aufgrund ausbleibender sportlicher Erfolge den Verein fast in den Ruin. Finanzielle Hilfe des VBB, des Magistrats und der Toto GmbH retten ihn schließlich. In den Sommermonaten der folgenden Jahre füllen die Einnahmen von Freiluftveranstaltungen der Box-Abteilung von Hertha BSC die Vereinskasse.

Die vollbesetzte Plumpe.

Sportlich geht es ab der Saison 1953/54 mit einer jüngeren Mannschaft bergauf. 1957 feiern die Blau-Weißen – erstmals nach 13 Jahren – wieder den Gewinn der Berliner Meisterschaft. Am 19. August 1959 wird gegen den ASK Vorwärts Berlin mit über 20.000 Fans ein Nachkriegs-Zuschauerrekord aufgestellt, 1961 nimmt der Club erneut an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft teil. Der Mauerbau im August 1961 ist ein weiterer Einschnitt. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Ostsektor, die zuvor einen Großteil des Publikums ausgemacht haben, können nicht mehr ins Stadion kommen.

Umzug ins Olympiastadion

1963 verliert die "Plumpe" durch Herthas Berufung in die neu gegründete Bundesliga und den damit verbundenen Umzug in das Olympiastadion weiter an Bedeutung. Auch der Zwangsabstieg 1965 und die zwischenzeitliche Rückkehr in die alte Spielstätte bis zum Wiederaufstieg 1968 halten diese Entwicklung nicht auf. Gleichwohl wird der „Hertha-Platz“ zwei Jahre später für rund eine Viertelmillion Mark komplett saniert. Trainingseinheiten, Testspiele und weitere Begegnungen der Amateure und Junioren sollen dort weiterhin stattfinden. Um allerdings die fatalen finanziellen Folgen des Bundesliga-Skandals von 1971 aufzufangen, hat Präsident Heinz Warneke danach die schmerzvolle Aufgabe, den Mitgliedern die Notwendigkeit des Verkaufs der geliebten „Plumpe“ zu verdeutlichen. Andernfalls wäre der Konkurs des Vereins unabwendbar.

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Ich muss ehrlich gestehen: Als ich langsam die Treppe zur Millionenbrücke hochging und mich noch einmal umdrehte, da traten mir die Tränen in die Augen!
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-Hanne Sobek

Verkauf und wehmütiger Abschied

Am 24. Mai 1974 ist ein Politikum entschieden: Der „Hertha-Platz“ wird nach Zustimmung des Berliner Abgeordnetenhauses an eine Immobiliengesellschaft veräußert. Aus dem Grundstück wird Bauland, es fließen 6,2 Millionen DM an den Verein, der danach quasi schuldenfrei ist. Letztmalig rollt der Ball am 3. September 1974 an der „Plumpe“. Die Berliner gewinnen vor 430 Fans nach Toren von Erich „Ete“ Beer und Erwin Hermandung mit 2:1 gegen Royal Antwerpen FC. Das ursprünglich für den 22. Oktober 1974 vorgesehene Abschiedsspiel mit Rahmenprogramm gegen den damaligen Rekordmeister 1. FC Nürnberg fällt aufgrund von starken Regenfällen wortwörtlich ins Wasser. Johannes „Hanne“ Sobek, Ehrenpräsident von Hertha BSC und der berühmteste Spieler an der "Plumpe", findet zum Abschied sehr persönliche Worte: „Dann habe ich hier gespielt, aus der Sehnsucht wurde eine Erfüllung. Jetzt muss ich leider sehen, dass dieser Platz finanziellen Dingen zum Opfer fällt, dass er verschwindet. Ich muss ehrlich gestehen: Als ich langsam die Treppe zur Millionenbrücke hochging und mich noch einmal umdrehte, da traten mir die Tränen in die Augen!“

Kurze Zeit später beenden Bagger die 50-jährige Ära dieser historischen Spielstätte von Hertha BSC, die nun einem Wohnkomplex weicht. Seit 1978 erinnern bis zum heutigen Tage sowohl in der Behmstraße als auch in der Bellermannstraße insgesamt fünf Skulpturen des Künstlers Michael Schoenholtz an die legendäre „Plumpe“.

von Frank Schurmann