"Ich habe großen Glauben an diese Mannschaft"
Ein Hechtsprung ins Eck, ein blitzschnelles Aufrappeln, dann das Ganze nochmal und nochmal. Wieder und wieder. Die Bälle rauschen und zischen Oliver Christensen nur so um die Ohren. Und das nicht nur in dieser, sondern eigentlich in jeder Einheit im Trainingslager in Orlando. Doch der 23-Jährige ist in seinem Element, pusht sich nach gelungenen Aktionen, ärgert sich, wenn er den Ball passieren lassen muss. Deutlich wird auf jeden Fall: Nach der Weltmeisterschaft und dem Winterurlaub schreckt ihn nicht einmal die härteste Einheit unter Torwarttrainer Andreas Menger ab. Auch deshalb sagt unsere Nummer 1: „Die Bedingungen hier sind super. Alle sind fit, ziehen mit und freuen sich, als Gruppe wieder zusammen zu sein – das ist die Voraussetzung.“
Knapp zwei Monate war der Däne nicht beim Team – nach der Weltmeisterschaft in Katar ruhte sich der Blondschopf in seiner Heimat aus. „Nach zwei Wochen habe ich mich dann allerdings schon wieder extrem auf Hertha, die Mannschaft und Berlin gefreut. Es ist ein gutes Zeichen, wenn man seine Kollegen vermisst, oder?“, fragt Christensen mit seinem schelmischen Grinsen. Bei all der Trainingsgier nahm sich Olli dennoch Zeit für herthabsc.com und hat mit uns über blau-weißen Zusammenhalt, unvergessliche Emotionen auf dem Feld und Ziele für 2023 gesprochen.
herthabsc.com: Olli, wir sitzen hier im Baseball-Stadion in der IMG Academy, hätten aber auch zu den Tennisplätzen oder Footballfeldern gehen können. Gibt es eigentlich andere Sportarten, die du neben Fußball verfolgst?
Christensen: Ich schaue viel Handball und habe Freunde, die in der deutschen Liga und für die dänische Nationalmannschaft spielen. Ich mag aber auch Basketball, ein unheimlich intensiver Sport. Durch die Zeitverschiebung können wir hier abends einige NBA-Spiele verfolgen. In Europa ist das ein bisschen schwieriger (grinst). Aber Basketball ist eher Unterhaltung für mich. Nicht so wie beim Fußball, wo ich eigentlich schon mein ganzes Leben mit dem Herzen dabei bin.
[>]Ich habe die Jungs und das ganze Team drumherum fast zwei Monate nicht gesehen. Daher ist es geil, wieder täglich miteinander abzuhängen.[<]
herthabsc.com: Dann lass uns doch darüber sprechen: Nach der Ankunft in Florida habt ihr die ersten Einheiten absolviert. Welchen Eindruck hast du von der Anlage, der Stimmung und dem Training?
Christensen: Das Gefühl ist gut! Die Bedingungen sind super. Alle sind fit, ziehen mit und freuen sich, als Gruppe wieder zusammen zu sein – das ist die Voraussetzung. Ich habe die Jungs und das ganze Team drumherum fast zwei Monate nicht gesehen. Daher ist es geil, wieder täglich miteinander abzuhängen (strahlt).
herthabsc.com: Etwa acht Wochen, weil du anders als deine Kollegen in Katar bei der Weltmeisterschaft statt in Berlin bzw. in der längeren Winterpause warst. Wie blickst du mit etwas Abstand auf das Turnier zurück?
Christensen: Ich glaube, ich werde es mit der Zeit erst noch richtig realisieren, dass ich bei einer WM war. Davon träumt schließlich jeder Fußballer. Schon als kleiner Olli war das mein größter Wunsch (lacht). Deshalb war es eine richtig coole Erfahrung, die mir zusätzliche Motivation gibt. Vor einem Jahr hätte ich niemals daran geglaubt, mein Heimatland vertreten zu dürfen. Leider haben wir sportlich nicht das erreicht, was wir uns erhofft hatten. Wir sind in der Gruppenphase nie auf unser Level gekommen. Als wir dann nach der Vorrunde wieder nach Dänemark abreisen mussten, waren wir sauer und traurig. Das hat sich extrem schlecht angefühlt. Aber wir wissen, dass wir eine gute Mannschaft haben – und mit Blick auf die Europameisterschaft 2024 in Deutschland müssen wir es besser machen.
[>]Wir möchten weiter an den Dingen feilen, die schon gut klappen und die Sachen verbessern, die eben noch nicht gut klappen. Das Ziel lautet: besser spielen, mehr Punkte holen![<]
herthabsc.com: Hattest du dennoch Zeit, rund um Weihnachten und Silvester ein wenig abzuschalten und auf andere Gedanken zu kommen?
Christensen: Ich war die ganze Zeit in Dänemark bei meiner Familie und meinen Freunden. Das war wichtig für mich. Es kommt nicht mehr so oft vor, dass ich es schaffe, nach Hause zu fahren. Es war schön, um die Akkus wieder aufzuladen. Nach zwei Wochen habe ich mich dann allerdings schon wieder extrem auf Hertha, die Mannschaft und Berlin gefreut. Es ist ein gutes Zeichen, wenn man seine Kollegen vermisst, oder? (grinst)
herthabsc.com: Und sicher auch dein Torwartteam, in dem du mit 23 Jahren inzwischen der Älteste bist.
Christensen: Das stimmt, ich war eigentlich immer der jüngste Torwart. Wir trainieren gut zusammen, die Stimmung ist auch bestens. Die Mentalität passt. Vielleicht muss ich in dieser Rolle noch mehr Leidenschaft zeigen und vorweg gehen, die jungen Keeper orientieren sich eventuell noch ein bisschen mehr an mir. Klar ist jeder mal sauer, wenn er einen Fehler macht, aber es liegt dann – natürlich in erster Linie bei Andreas Menger, aber auch an mir – eben vermehrt in meiner Verantwortung. In der Gruppe haben wir eine gute Dynamik, es ist ein Geben und Nehmen.
herthabsc.com: Zwischen Weltmeisterschaft, Heimaturlaub und Amerika: Konntest du das vergangene Jahr bei Hertha einmal Revue passieren lassen? Hinter dir liegen immerhin ein schwieriges Frühjahr, ein Debüt in der Relegation und der Sprung zur Nummer 1.
Christensen: Das schon! Die ersten vier Monate waren wirklich richtig schwierig – geprägt von Verletzungen und Krankheit. Außerdem haben wir als Team fußballerisch nicht funktioniert. Die Relegation dagegen werde ich niemals vergessen. Das war einfach Wahnsinn, pure Emotionen. Wir waren nach dem Schlusspfiff alle so unfassbar glücklich. Danach haben viele Dinge für mich geklappt: die Entwicklung bei Hertha oder eben die Berufung in die Nationalmannschaft. Ich war auch an Silvester 2021 dankbar für viele Dinge, die ich erreicht habe, aber im vergangenen Jahr habe ich wirklich viel gelernt. Ich muss immer dranbleiben, auch wenn manches nicht funktioniert. Auch der Spaß darf nicht zu kurz kommen.
herthabsc.com: Wie soll es dann 2023 für dich weitergehen? Welche Ziele steckst du dir persönlich, aber auch mit der Mannschaft?
Christensen: Ich möchte wirklich immer weiter an mir arbeiten, mich entwickeln. Aber das ist doch jedes Jahr das Ziel und gilt auch für uns als Mannschaft. Wir haben zwar einige gute Leistungen gezeigt, aber dafür nicht genug Zähler eingefahren. Dabei soll unser Weg in der Tabelle weiter nach oben führen. Dafür müssen und werden wir positiv bleiben. Ich habe großen Glauben an diese Mannschaft!
herthabsc.com: Vertrauen gefasst in eure Entwicklung haben auch die Fans und das Umfeld. Wie nehmt ihr das wahr?
Christensen: Die Unterstützung der Fans ist fantastisch, spätestens seit der Relegation einfach wunderbar. Das Spiel in Hamburg war ein Wendepunkt. Wir haben gemerkt, was als Einheit möglich ist. Wir müssen weiter als ganzer Verein zusammenstehen und zusammenhalten, auch wenn es mal schlechte Momente geben wird. Das habe ich zuletzt sehr stark gespürt. Ich bin mir sicher, dass uns dabei auch das veränderte Spiel hilft, dass unser Trainer fordert. Mehr Intensität, pressen und fighten, das passt zu uns. Das merken auch die Fans, die sehen, dass wir wollen und immer 100 Prozent geben.