Jolly Sverrisson hat den Ball im Blick.
Club | 20. Dezember 2022, 16:10 Uhr

Allet paletti, Jolly Sverrisson?

In über 130 Jahren haben verschiedenste Persönlichkeiten und Charaktere ihre Spuren bei Hertha BSC hinterlassen. Die Protagonisten haben die unterschiedlichen blau-weißen Epochen geprägt – durch ihren Einsatz auf dem Rasen entstanden Geschichten, die bei unseren Anhängerinnen und Anhängern bis in die Gegenwart schöne Gefühle auslösen. Diesen Erlebnissen, Anekdoten und Erinnerungen jener Herthaner möchten wir in unserer neuen Rubrik „Allet paletti?“ den verdienten Raum geben.

Den Anfang macht dabei Eyjólfur Sverrisson, den alle nur als „Jolly“ kennen. Der Isländer trug zwischen 1995 und 2003 acht Jahre lang unsere Fahne auf der Brust und schrieb dabei eines der erfolgreichsten Kapitel unserer Clubgeschichte maßgeblich mit. „Hertha ist ein großer Teil meines Lebens und hat mich sehr geprägt – nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch. Ich werde immer ein Herthaner sein, das ist sicher“, unterstreicht der ehemalige Verteidiger die Verbundenheit. Immer noch spricht der 54-Jährige von „wir“, wenn es um unsere Alte Dame geht. Im Interview mit herthabsc.com plaudert Sverrisson über Erinnerungen an Berlin, europäische Nächte sowie besondere Kollegen und wirft mit uns auch einen Blick in die Gegenwart.

herthabsc.com: Jolly, wo erreichen wir dich gerade?
Sverrisson: Ich bin in meiner eigenen Firma in Island, sitze im Büro und arbeite da ein paar Sachen ab. Gerade schaue ich nach den Finanzen …

herthabsc.com: … bist du dabei genauso kompromisslos wie früher auf dem Rasen?
Sverrisson: Ja, absolut (lacht)! Mir rutscht nichts durch, keine Zahl kommt vorbei.

Jolly Sverrisson grätscht Frankfurts Marco Gebhardt ab.
Von Hertha-Fans geliebt, von Gegnern gefürchtet: Sverrissons kompromisslose Abwehrarbeit.

herthabsc.com: Also alles wie immer. Passend dazu wollen wir natürlich mit dir auf deine Zeit bei Hertha BSC schauen. 1995 bist du aus Istanbul zu unserem Hauptstadtclub gekommen. Wie war dein erster Eindruck?
Sverrisson: Wir hatten anfangs eher wenige Zuschauerinnen und Zuschauer, ich glaube in der Regel so um die 2.000 – und das in diesem riesigen Olympiastadion. Das war anfangs ein bisschen schockierend. Ich kam ja von Beşiktaş, wo das Stadion immer voll und die Stimmung enorm gewesen war. Da war das schon ein Unterschied. Wenn in dieser Zeit jemand auf der Tribüne einen Spruch losgelassen hat, hat jeder auf dem Platz das verstanden (schmunzelt). Das Training war aber schon vergleichbar mit vorherigen Stationen, die Mannschaft war schnell auf dem richtigen Niveau.

herthabsc.com: Und wie wirkte die Stadt Berlin auf dich?
Sverrisson: Sehr gut! Damals wurde in der Mitte der Stadt unheimlich viel gebaut, das war spannend. Es ist viel passiert in der Zeit, in der ich bei Hertha gespielt habe. Inzwischen sieht es ja schon wieder ein bisschen anders aus. Berlin entwickelt sich eben immer weiter.

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Wir hatten eine Riesenmannschaft, die eine einmalige Stimmung verbreitet hat. Die Menschen hatten lange darauf gewartet, dass sich in Berlin wieder etwas entwickelt.
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-Jolly Sverrisson

herthabsc.com: Entwicklung als Stichwort: Du hast das gute Niveau im Training schon angesprochen, als Mannschaft habt ihr euch nach deiner Ankunft rasant verbessert und seid 1997 aufgestiegen – der Start einer erfolgreichen Ära. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Sverrisson: Das war gigantisch. Wir hatten eine Riesenmannschaft, die eine einmalige Stimmung verbreitet hat. Die Zusammensetzung der Truppe war ideal, wir haben durch dick und dünn zusammengestanden. Es kamen dann auch immer mehr Zuschauerinnen und Zuschauer, die das gespürt haben – besonders ist mir dabei das Spiel gegen Kaiserslautern in Erinnerung geblieben. Das Stadion war randvoll, es müssen 100.000 Fans dagewesen sein (grinst). Das war erst der Anfang, der Aufschwung war überall zu spüren. Die Menschen hatten lange darauf gewartet, dass sich in Berlin wieder etwas entwickelt, und man konnte schon ahnen, was noch alles werden kann. Als wir den Aufstieg geschafft haben, war das ein sensationelles Gefühl.

herthabsc.com: Und dann ging es im Oberhaus weiter – wo euch die Gegner nichts geschenkt haben.
Sverrisson: In der ersten Bundesliga mussten wir eine gewisse Lernphase durchmachen. Es kamen viele neue Spieler mit hoher Qualität, aber wir konnten uns noch nicht hundertprozentig einspielen. So steckten wir am Anfang in richtigen Schwierigkeiten und haben zu viele Punkte liegengelassen. Ich kann mich erinnern, dass wir dann gemeinsam einen Schritt zurückgegangen sind: Wir haben auf die Zweitligamannschaft gesetzt und die Neuen, die ja alle gute Spieler waren, langsam wieder eingebaut. Dann haben wir eine Serie gestartet, sechs der folgenden sieben Partien gewonnen, und waren auf einmal raus aus dem Abstiegskampf. Ab da ging es bergauf. Als Team haben wir uns immer weiter verbessert und entwickelt – eine einmalige Zeit.

Jolly Sverrisson bedrängt einen Gegenspieler vom FC Porto.
Krönung der rasanten Entwicklung: Der Ausflug in die Champions League, hier gegen den FC Porto.

herthabsc.com: Euer Weg führte bis in die UEFA Champions League. Plötzlich hieß es: Hertha gegen Barça, Hertha gegen Milan, Hertha gegen Chelsea. Konntest du all das bei dem Tempo überhaupt realisieren?
Sverrisson: Es ging schon schnell, aber wir waren extrem fokussiert auf unsere Aufgaben und wollten um jeden Preis erfolgreich sein. Alle haben mitgezogen, es war eine geniale Mannschaft mit riesiger Moral. Das hat sich dann auch in diesen Partien gezeigt: Wir waren immer drin in den Begegnungen, es war immer eng. Wir hatten vielleicht nicht die größten Namen, aber als Team waren wir große Klasse und konnten so mithalten.

herthabsc.com: Ihr wart in den folgenden Saisons Stammgast auf europäischer Bühne. Welche Spiele aus dieser Zeit haben sich besonders bei dir eingeprägt?
Sverrisson: Es gab viele besondere und umkämpfte Partien. Aber gerade das Heimspiel gegen Barcelona in der Champions League ist mir in Erinnerung geblieben, das war speziell. Bei langen Bällen wussten wir, dass die Kugel irgendwann mal aus dem Nebel heraus auf uns zufliegen würde (lacht). Das war eine schwierige Begegnung – und gleichzeitig ein witziger Moment.

herthabsc.com: Es gab anschließend viele weitere blau-weiße Highlights von und mit dir. Bei deinem gemeinsamen Abschiedsspiel mit Michael Preetz war zu spüren, wie sehr dich unsere Fans ins Herz geschlossen haben. Welche Erinnerungen hast du an den Tag?
Sverrisson: Das war sensationell, es herrschte eine einmalige Stimmung im Stadion. Ich werde das nie vergessen. Ich war ein Berliner, aber ich werde immer ein Herthaner sein, das ist sicher!

Die Choreographie zum Abschied von Jolly Sverrisson und Michael Preetz.
„Die Köpfe einer glorreichen Ära“: Unsere Fans verabschieden Jolly und Michael Preetz.

herthabsc.com: Du bist Teil unserer Jahrhundertelf, Vereinsmitglied, hast 238 Pflichtspiele für unsere Alte Dame bestritten. In einem Satz: Was bedeutet Hertha BSC für dich?
Sverrisson: (überlegt kurz) Hertha ist ein großer Teil meines Lebens und hat mich sehr geprägt – nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch.

herthabsc.com: Schauen wir noch einmal auf einige Weggefährten in deiner aktiven Zeit. Du hast einen Großteil deiner Partien im blau-weißen Trikot unter Jürgen Röber bestritten, der dich zuvor bereits in Stuttgart gecoacht hat. Was hat ihn als Trainer besonders ausgezeichnet?
Sverrisson: Er war ein Motivator, der die Mannschaft immer heiß gemacht hat, immer aktiv war. Auf wie neben dem Platz, im Training wie bei den Spielen. Wir haben auch oft über Inhalte diskutiert, er ist dabei immer professionell gewesen und so war ein großer gegenseitiger Respekt da. Er hat viel Engagement verlangt, und dadurch, dass wir das umgesetzt haben, waren meistens auch alle zufrieden.

Jürgen Röber und Jolly Sverrisson stehen lächelnd an der Seitenauslinie.
„Großer gegenseitiger Respekt“: Unter keinem Trainer spielte Sverrisson öfter als unter Jürgen Röber

herthabsc.com: In deinen Jahren an der Spree hast du an der Seite von vielen großartigen Fußballern gespielt. Wer war der Beste?
Sverrisson: Das war Sebastian Deisler! Ein genialer Fußballer, der alles hatte. Er war schnell, trickreich, stark mit beiden Füßen – einfach ein kompletter Spieler, der mir immer extrem imponiert hat.

herthabsc.com: Mit welchen ehemaligen Mitspielern aus deiner Zeit bei uns pflegst du noch den Austausch?
Sverrisson: Ich habe noch regelmäßigen Kontakt mit Andreas Thom, Michael Preetz und Hendrik Herzog. Ab und zu spreche ich mit Arne Friedrich, habe dazu noch einen guten Draht zu Sixten Veit und Sven Meyer. Man trifft sich auch bei Spielen – Marko Rehmer und Axel Kruse habe ich so gesehen und zuletzt Gábor Király nach langer Zeit ebenfalls mal wiedergetroffen. Natürlich darf ich Ferry (Christian Fährmann, Anm. d. Red.), unseren DJ, nicht vergessen (lacht)!

Jolly Sverrisson und Sixten Veit lassen sich im Trainingslager in Portugal einen Kaffee schmecken.
Auch außerhalb vom gemeinsamen Trainingslager-Kaffee noch in Kontakt: Jolly und Sixten Veit.

herthabsc.com: Wagen wir noch einen Blick über unseren blau-weißen Tellerrand. Nicht nur in Spreeathen hast du sportliche Spuren hinterlassen. Nach 66 Länderspielen und knapp zwei Jahren als isländischer Nationaltrainer hast du zwischen 2009 und 2018 neuneinhalb Jahre die U21 gecoacht. Wie blickst du auf diesen Abschnitt zurück?
Sverrisson: Das war eine schöne Zeit! Es hat mir einfach sehr viel Freude bereitet, mit jungen und talentierten Spielern zu arbeiten, sie zu begleiten und bei der Entwicklung zu unterstützen. Ich denke gerne daran zurück.

herthabsc.com: Talent hat auch dein Sohn Hólmar Örn Eyjólfsson von dir mitbekommen. Er ist ebenfalls Profi geworden und spielte unter anderem auch drei Jahre in Deutschland beim VfL Bochum. Hand aufs Herz: Wie oft sprecht ihr über Fußball?
Sverrisson: Sehr regelmäßig, auch wenn es häufiger um die Enkelkinder geht (grinst). Gerade weil er ja immer noch spielt, inzwischen wieder in Island. Er kennt sich natürlich gut aus und verfolgt genauso wie ich noch aufmerksam den deutschen Fußball, darüber reden wir dann oft.

herthabsc.com: Hólmar ist in deine Fußstapfen getreten und ebenfalls Verteidiger geworden – gibst du ihm hier und da dann auch Tipps?
Sverrisson: Mein Sohn muss die Dinge auf seine Weise angehen – da möchte ich kein Besserwisser sein (lacht). Wir haben als Familie eine sehr enge Bindung, aber er trifft eigene Entscheidungen und macht das auch sehr gut. Mit Rosenborg war er ja auch zwei Mal norwegischer Meister und Pokalsieger.

herthabsc.com: Lass uns noch einen Blick in die blau-weiße Gegenwart werfen: Gegen den FC Bayern warst du am 5. November mal wieder im Olympiastadion zu Besuch. Wie hast du die Atmosphäre erlebt?
Sverrisson: Es war sehr schön, da kamen viele alte Erinnerungen hoch. Volles Stadion, tolle Stimmung und ein gutes, spannendes Spiel – perfekt wäre es gewesen, wenn wir noch das 3:3 gemacht hätten. Trotzdem hat es mir sehr gut gefallen, die Atmosphäre war klasse. Die Fans sind immer noch der zwölfte Mann, das hat sich seit meiner Zeit nicht geändert. Und sie werden mit unserem Club noch einiges erleben in den kommenden Jahren, da bin ich mir ganz sicher!

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Wir sind aktuell in einer Zwischenphase und brauchen Geduld. Es kann etwas entstehen, daran glaube ich fest.
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-Jolly Sverrisson

herthabsc.com: Wie regelmäßig verfolgst du unser Team und wie ist dein Eindruck von der bisherigen Saison?
Sverrisson: Ich schaue jedes Spiel! Wir sind aktuell in einer Zwischenphase und brauchen Geduld, aber ich bin überzeugt davon, dass Hertha wieder erfolgreich sein wird. Wichtig ist, dass alle weiterhin zusammenstehen, dann werden wir etwas Großes erreichen. Es kann etwas entstehen, daran glaube ich fest und das hat man auch im Stadion gespürt.

herthabsc.com: Was muss passieren, damit wir im kommenden Sommer auf eine zufriedenstellende Spielzeit unseres Clubs zurückblicken können?
Sverrisson: Wir müssen insgesamt stabiler, konstanter werden. Als Profi denkt man vor den Begegnungen oft darüber nach, wie die Tagesform aussieht und was es wohl für ein Spieltag wird. In der gesamten Bundesliga gibt es viele gute Spieler, dann entscheidet sich einiges über den Kopf und die eigene Motivation. Jeder Akteur muss seine Stärken mit einer positiven Einstellung bestmöglich ins Spiel einbringen. Es darf nur darum gehen: Wie können wir das Duell für Hertha BSC gewinnen? Mit der Unterstützung der Fans ist dann alles möglich. Die Jungs müssen verinnerlichen, wie unser Spiel aussehen soll und wie sie die Partien angehen. Diese Stabilität ist unglaublich wichtig für eine Mannschaft, man ist dann in den Begegnungen auch viel ruhiger und spürt, dass der gemeinsame Weg der richtige ist – auch, wenn man mal eine Niederlage einsteckt. Natürlich hoffe ich, dass Hertha zukünftig dann öfter gewinnt als verliert (lächelt)!

von Konstantin Keller