"Wir wollen mit unserem Angebot viele Spieler erreichen"
Selina Kochs Tür steht immer offen – das ist in diesem Fall nicht einfach so daher gesagt. Als herthabsc.com zum Interview eintrifft, können wir ohne zu klopfen eintreten. Während unseres Gesprächs schaut auch der Leiter Sport unserer Akademie, Pablo Thiam, auf ein kurzes Pläuschchen vorbei. Seit August 2021 ist die gebürtige Düsseldorferin nun als Sportpsychologin bei unserer Hertha BSC Fußball-Akademie tätig. Koch hat die Methode des offenen Zuganges ins eigene Büro für sich entdeckt, um schnellstmöglich ihre neue Umgebung kennenzulernen: „Ich versuche, meine Tür immer offen zu lassen, wenn ich nicht gerade im Gespräch bin. Dadurch kommen viele Leute hier rein, auch ungeplant, mit denen ich dann Gespräche führe. Von Smalltalk bis hin zu ernsteren Themen ist alles dabei“, erzählt die 26-Jährige und schaut auf ihre Anfangszeit bei unseren Spreeathenern zurück: „Ich habe zum Glück ein tolles Team um mich herum, das mir den Einstieg erleichtert hat. Trotz sehr viel Arbeit, Überstunden und auch einigen schlaflosen Nächte liefen die ersten Monate bei Hertha insgesamt sehr gut", unterstreicht die Rheinländerin.
[>]Pablo Thiam hat mich angerufen, ich bin aber erst gar nicht rangegangen, weil ich die Nummer nicht kannte. Ich hatte dann drei Anrufe in Abwesenheit und eine Nachricht auf der Mobilbox von ihm. Da habe ich natürlich zurückgerufen - so bin ich zu Hertha gekommen.[<]
Die Geschichte, wie sie zu unserem Verein kam, gleicht ungemein einer der typischen Erzählungen über eine Nominierung für die Nationalmannschaft. „Eine Freundin hat mich empfohlen. Daraufhin hat Pablo Thiam mich angerufen, ich bin aber erst gar nicht rangegangen, weil ich die Nummer nicht kannte. Ich hatte dann drei Anrufe in Abwesenheit und eine Nachricht auf der Mobilbox von ihm. Da habe ich natürlich zurückgerufen, es kam eins zum anderen und so bin ich zu Hertha gekommen“, schildert Koch schmunzelnd. Warum Thiam sie unbedingt für unsere Akademie gewinnen wollte, wird schnell klar, wenn man sich ihren Lebenslauf anschaut. Neben einem Master in klinischer Psychologie und einer Coaching-Ausbildung in Hamburg hat Koch zusätzlich einen Master in Sportpsychologie in Berlin absolviert. Darüber hinaus war die Herthanerin vier Jahre als Diagnostikerin in der psychiatrischen Forschung tätig, arbeite bereits bei Bayer 04 Leverkusen sowie der TSG Hoffenheim und stand ab März 2021 beim DFB unter Vertrag, bis unsere Alte Dame sie schließlich für unseren Club gewann.
[>]Im Groben ist mein Vormittag eine Mischung aus Administration, Konzeption und Organisation. Zum Nachmittag hin stehen meist Einzelgespräche, Begleitung von Teambesprechungen und Trainingseinheiten sowie Gespräche mit den Trainern auf dem Plan.[<]
Doch auf diesen Lorbeeren ruht sich die Wahl-Berlinerin nicht aus - im Gegenteil: „Ich bin gekommen, um die sportpsychologische Abteilung neu auf- und weiter auszubauen. Perspektivisch wollen wir möglichst viele Spieler mit unserem Angebot erreichen und haben dafür ein Konzept entwickelt, welches alle Altersklassen miteinschließt und aufeinander aufbaut“, verrät Koch. Dass dieses Konzept jetzt schon greift, zeigt die Masse an Aufgaben und Gesprächen, die unsere Sportpsychologin derzeit auf dem Zettel hat. „Ich liebe Struktur und wünschte, ich könnte einen Wochenplan vorzeigen, aber jeder Tag ist anders – das ist natürlich auch sehr spannend“, erklärt die Fachfrau mit einem Lächeln und beschreibt einen möglichen Tagesablauf: „Im Groben ist mein Vormittag eine Mischung aus Administration, Konzeption und Organisation und zum Nachmittag hin stehen meist Einzelgespräche, Begleitung von Teambesprechungen und Trainingseinheiten sowie Gespräche mit den Trainern auf dem Plan.“
Nicht nur die Aufgaben variieren, sondern auch, in welchem Maße die neue Abteilungsleiterin beansprucht wird. „Es gibt ruhige Wochen und dann gibt es Wochen, in denen ich hier 20-30 Spieler und Trainer sitzen habe. Im Allgemeinen wird das Angebot sehr gut angenommen“, bilanziert Koch. Doch damit nicht genug, die Sportbegeisterte macht vor keinem Bereich Halt. „Ich arbeite zum Beispiel sehr eng mit den Pädagoginnen und Pädagogen unseres Internats zusammen. Wir tauschen uns regelmäßig über die Spieler, aber auch die Abläufe aus. Wenn ich Zeit habe, integriere ich mich auch in gewisse Aufgaben und packe mit an. Ich sehe mich oft mit einem Fuß im Pädagogen-Team“, lacht die ausgebildete Beraterin.
[>]Ich denke, es ist vor allem ein gesellschaftliches Thema. Der Druck steigt momentan überall und in jedem Job. Davon ist keine Gesellschaftsgruppe ausgenommen - natürlich auch die Fußballer nicht.[<]
Die Sensibilisierung für das Thema seelische Gesundheit ist nicht nur der Job unserer Sportpsychologin, sondern ein Anliegen der gesamten Fußball-Welt – spätestens nach dem Tod Robert Enkes 2009. „Seitdem hat sich einiges im mentalen Bereich bewegt. Es ist jetzt zum Beispiel Pflicht, dass es mindestens eine Sportpsychologin oder einen Sportpsychologen pro Akademie gibt. Das ist ein großer Erfolg“, freut sich Koch. Nachholbedarf sieht sie dennoch: „Aus meiner Sicht tut sich trotzdem noch zu wenig. Es sollte nicht mehr schlimm sein, zu einem Psychologen oder einer Psychologin zu gehen und nach Hilfe zu fragen – oder auch mal zu sagen, dass man etwas nicht kann. Ich denke aber, dass wir gerade auf einem guten Weg sind, die Verfügbarkeit von professionellen Leuten zu erhöhen und das Thema zu destigmatisieren“, blickt die Blau-Weiße hoffnungsvoll voraus.
Dass es jedoch nicht nur die eine Sicht auf diese Problematik gibt, weiß die ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité auch. „Es ist eine Dilemma-Situation, weil man sich auf der einen Seite mehr Eingehen auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen wünscht, auf der anderen Seite aber Leistung erbracht werden muss. Es ist im Rahmen des Hochleistungssports unglaublich schwierig, dort die gesunde Mitte zu finden“, beschreibt sie die Herausforderung der mentalen Betreuung. Eben jene Mitte mit ihren Schützlingen zu erreichen, ist eine von Selina Kochs Aufgaben, die neben Empathie auch eine ganze Menge Hingabe und unterschiedliche Herangehensweisen benötigt. Ihre Aufgeschlossenheit den Spielern, Trainern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber beginnt bereits bei der eigenen Bürotür. Nach dem Gespräch bittet sie herthabsc.com schmunzelnd, diese nicht zu schließen.
Weitere Einblicke in die tägliche Arbeit von Selina Koch erhaltet ihr auf mach-dich-hertha.de sowie auf dem Instagram-Kanal von Selina.