'Ete' Beer setzt sich im Spiel gegen Dynamo Dresden durch.
Historie | 9. Dezember 2021, 00:01 Uhr

Der Berliner Beer wird 75!

Nach dem Abstieg von Rot-Weiss Essen will der in Neustadt bei Coburg geborene Erich Beer unbedingt weiterhin in der Bundesliga spielen. Im Sommer 1971 entscheidet sich der 24-Jährige für einen Wechsel an die Spree. Die Aussicht auf seine Lieblingsposition im blau-weißen Mittelfeld lassen ihn Angebote des FC Bayern München sowie des 1. FC Köln ablehnen.

Der Beginn der 'Beer'liner Ära

Gleich in seiner Premieren-Saison bestätigt der gebürtige Franke mit elf Treffern in 37 Partien in Bundesliga, DFB-Pokal und UEFA Cup seine Verpflichtung. Unsere Blau-Weißen schließen die Spielzeit 1971/72 auf dem 6. Tabellenrang ab. Zudem verdient er sich den Respekt einer der größten Persönlichkeiten des deutschen Fußballs: Als 'Uns Uwe‘ Seeler im Februar 1972 sein letztes Pflichtspiel vor Berliner Publikum bestreitet, markiert der Herthaner beim 2:0 im Olympiastadion beide Treffer gegen den Hamburger SV. „Immer wenn ich Uwe getroffen habe, hat er scherzend zu mir gesagt, dass ich ihm den Abschied aus Berlin vermiest hätte“, erinnert sich Beer schmunzelnd.

Dabei steht diese Saison aus blau-weißer Sicht unter keinem guten Stern. Im Zuge der vorgeworfenen Manipulation aus dem Vorjahr sperrt der DFB nahezu die komplette Hertha-Mannschaft, sodass unser Hauptstadtclub zu einem großen personellen Umbruch gezwungen ist. Als der FC Bayern im Frühling 1972 sein Werben um den Berliner Mittelfeldmotor erneuert, steht der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands postwendend vor Beers Reinickendorfer Wohnungstür. „Wolfgang Holst hat mich vier Stunden lang bearbeitet und gesagt, dass ich mit unserem Mannschaftskapitän Lorenz Horr die neue Mannschaft aufbauen soll“, verrät der begehrte Akteur.

Frühes Schlüsselspiel

In einer öffentlichen Trainingseinheit vor Beginn der neuen Saison präsentieren unsere Blau-Weißen am 80. Vereinsgeburtstag auf dem Hertha-Platz an der ‘Plumpe‘ gleich elf Nezugänge. Im kurz darauf stattfindenden Ligapokal tritt Beer jedoch unrühmlich in Erscheinung: Wegen einer Tätlichkeit in der Partie gegen den Lokalrivalen Wacker 04 sieht er nach einer Tätlichkeit die Rote Karte.

Der blau-weiße Schlüsselspieler verpasst die ersten vier Bundesliga-Duelle, die seine Kollegen allesamt verlieren, gesperrt. Bereits am 5. Spieltag wartet deshalb gegen die ebenfalls punktlosen Rot-Weißen aus Oberhausen ein Schicksalsspiel. „Vor der Partie ist Wolfgang Holst zu uns in die Kabine gekommen und hat eine zehnminütige Dampfrede gehalten, danach war jeder endgültig bis in die Haarspitzen motiviert“, blickt ‘Ete‘, wie der Mittelfeldregisseur im Berliner Jargon genannt wird, zurück. Holsts Ansprache zeigt trotz zwischenzeitlichem Rückstand Wirkung: Nach dem Ausgleich von Horr bringt Beer unsere Spreeathener auf die Siegerstraße. Horr sorgt mit seinem zweiten Treffer für den 3:1-Endstand.

Im weiteren Saisonverlauf stabilisiert sich die neuformierte Mannschaft. Neben Horr, der zwölf Treffer erzielt, gehört Beer mit zehn Torerfolgen zu den Garanten für den Klassenerhalt. Auch in der folgenden Spielzeit 1973/74 ist der Wahl-Berliner mit neun Toren maßgeblich an der positiven Entwicklung unserer Blau-Weißen und dem achten Tabellenplatz beteiligt.

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Holst hat mich vier Stunden lang bearbeitet und gesagt, dass ich mit unserem Mannschaftskapitän Lorenz Horr die neue Mannschaft aufbauen soll.
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-'Ete' Beer

'Ete' Beer im Duell mit Spielern des FC Bayern.
Duell mit dem 'Kaiser': Beim legendären Sieg gegen Bayern trifft Beer doppelt.

Deutscher Vize-Meister

In der Saison 1974/75 verwöhnt unsere Mannschaft das Publikum im Olympiastadion mit 15 Siegen und zwei Remis. Highlights: Die beiden Derbyerfolge gegen Tennis Borussia und der Triumph im legendären Nebelspiel gegen den FC Bayern nach Eigentor von ‘Kaiser‘ Franz Beckenbauer und Beer-Doppelpack. Am letzten Spieltag sichern sich unsere Blau-Weißen mit einem Sieg gegen den VfL Bochum die Vize-Meisterschaft – bis zum heutigen Tage unsere beste Erstliga-Platzierung. Mit elf Treffern in 32 Einsätzen ist ‘Ete‘ der mit Abstand torgefährlichste Spieler unserer Herthaner. Mehr als 30 Jahre später beantwortet der Mittelfeldregisseur die Frage eines Journalisten, warum es als beste Heimmannschaft nicht zum ganz großen Wurf gereicht hat, schmunzelnd: „Ja, da überleg‘ ich heut‘ noch.“

Unter Kapitän Beer, der das Amt 1975/76 von ‘Luggi‘ Müller übernimmt, entwickeln sich unsere Berliner zu einer gefürchteten Pokal-Mannschaft. Im Mai 1976 ist erst im Halbfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern (2:4) Schluss. Ein Jahr später erreicht unsere Elf erstmals in der Vereinsgeschichte das Endspiel.

'Ete' Beer zieht im Duell mit Darmstadt 98 ab.
Satter Schuss gegen den SVD: Beer im Spiel gegen Darmstadt im Dezember 1976.

210 Minuten Einsatz unbelohnt

Im Mai 1977 steht es in Hannover zwischen den Herthanern und dem 1. FC Köln nach 120 Minuten 1:1. Dabei zieht sich Schiedsrichter Frickel den Unmut unserer Blau-Weißen zu, als er unserer Elf wenige Minuten vor Abpfiff einen klaren Strafstoß verweigert. „Nur bei einem Sieg des 1. FC Köln hätte sich der FC Bayern für den UEFA-Pokal-Wettbewerb qualifiziert. Schon vor dem Anpfiff war es unbegreiflich, dass der DFB für dieses Endspiel einen Schiedsrichter aus München ansetzt. Nach dem Abpfiff bin ich zum Schiedsrichter gegangen und habe mich beschwert. Er antwortete mir, dass er so kurz vor Ende der Verlängerung keine Mannschaft mit einem Elfmeter bestrafen wollte“, berichtet Beer.

Die damaligen Regularien sahen ein Wiederholungsspiel zwei Tage später an gleicher Stelle vor. Auch in dieser Partie gerät unser Mannschaftskapitän wegen der Schiedsrichterleistung an die Grenzen der Selbstbeherrschung, denn Mitte der zweiten Halbzeit kassiert der Hamburger Referee Ohmsen ein Beer-Tor wegen einem vermeintlichen Foul ein. „Es war genau umgekehrt, denn Heinz Simmet wollte mich stoppen. Ich habe den Ball an ihm vorbeigelegt und dann den Treffer erzielt. Der Schiedsrichter hat dann erst gepfiffen, als der Ball im Kölner Tor lag“, beschreibt ‘Ete‘ die möglicherweise vorentscheidende Spielszene. Wenige Minuten später gelingt den ‘Geißböcken‘ der Führungstreffer, den unsere Blau-Weißen nicht mehr ausgleichen können. Nach insgesamt 210 Minuten zieht unsere 'Alte Dame' den Kürzeren. 

Wegen einer Wurststulle: Abgabe des Kapitänsamtes

Vor der Saison 1978/79 stellt Beer im Trainingslager sein Kapitänsamt zur Verfügung. „An einem freien Tag hat fast die komplette Mannschaft die Unterkunft bis zum Zapfenstreich verlassen. Ole Rasmussen und ich sind im Hotel geblieben, um uns auszuruhen. Da wir aber nach dem frühen Abendessen Hunger bekommen haben, sind wir um 22:30 Uhr in den Speisesaal gegangen, um noch ein Wurstbrot zu uns zu nehmen. Plötzlich steht Trainer Kuno Klötzer an unserem Tisch und faltet uns lautstark zusammen, weil professionelle Fußballer um diese Uhrzeit nichts mehr essen sollen“, berichtet Beer, der Konsequenzen zieht. „Am nächsten Morgen bin ich zum Trainer gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass ich nicht länger Mannschaftskapitän bin."

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Plötzlich steht Kuno Klötzer an unserem Tisch und faltet uns lautstark zusammen. Am nächsten Morgen bin ich zum Trainer gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass ich nicht länger Mannschaftskapitän bin.
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-'Ete' Beer

'Ete' Beer zieht im Spiel gegen Roter Stern Belgrad ab.
Dramatisches Spiel im Europapokal: Gegen Roter Stern scheitern die Herthaner denkbar knapp.

Europäische Nächte und erneutes Pokalfinale

Mit dem neu gewählten Spielführer Uwe Kliemann spielt unser Verein 1978/79 als Vorjahresdritter im UEFA-Pokal. Auf der europäischen Bühne bietet sich unserer Clublegende die nächste Gelegenheit, blau-weiße Geschichte zu schreiben. Im April 1979 ist Roter Stern Belgrad im Halbfinal-Rückspiel zu Gast in Berlin. Mit dem ersten Angriff bringt Beer unser Team bei starkem Dauerregen im überfüllten Olympiastadion fulminant in Führung. Das Hinspielergebnis ist damit egalisiert. Als ein Eigentor unsere Farben sogar mit 2:0 in Führung gebracht hat, stoppt ein Belgrader unseren Spielmacher nach einer knappen halben Stunde regelwidrig im Strafraum. Doch der Elfmeterpfiff des italienischen Schiedsrichters Lattanzi bleibt aus. Eine Viertelstunde vor Schluss sind es dann die Gäste, die ihre einzige Torchance nutzen und aufgrund der Auswärtstorregel in die beiden Endspiele gegen Borussia Mönchengladbach einziehen. Dass die Herthaner die ‘Fohlen‘ in der laufenden Saison bereits dreimal besiegt haben, ist ein zusätzlicher Wermutstropfen.

Bereits zwei Monate später bietet sich erneut eine Titel-Chance. Im Juni 1979 geht es im DFB-Pokal-Finale in Hannover gegen Fortuna Düsseldorf erneut in die Verlängerung. Aber auch in seiner letzten Partie im blau-weißen Trikot bleibt Beer die Krönung seiner Hertha-Karriere verwehrt, denn vier Minuten vor Schluss entscheiden die Rheinländer die Partie für sich. ‘Ete‘ muss sich in seiner letzten Spielzeit an der Spree mit dem Klassenerhalt begnügen. Dieser gelingt aufgrund der immensen körperlichen und emotionalen Belastung in den Pokalwettbewerben erst am vorletzten Spieltag. Der scheidende Star ist mit zwölf Treffern mit Abstand erfolgreichster Torschütze seiner Mannschaft.

'Ete' Beer und seine Teamkollegen werden nach der Rückkehr im Anschluss ans Pokalfinale 1979 gefeiert.
Auch ohne Titel umjubelt: 'Ete' Beer und Teamkollegen bei der Rückkehr nach dem Endspiel 1979.

Aushängeschild und Rekordhalter

Beer gilt auch aufgrund seiner individuellen Leistungen als echtes Aushängeschild von Hertha BSC. So ist er der einzige Spieler der Clubhistorie, der in drei Spielen der beiden nationalen Wettbewerbe vier Tore erzielt hat. Dieses Kunststück gelang ihm zwischen August und Oktober 1975 innerhalb von nur 64 Tagen zunächst beim FV Weinheim im DFB-Pokal und danach in den Bundesliga-Partien gegen Bayer Uerdingen und Hannover 96. Bei der Wahl des ‘Tor des Monats‘ der ARD-Sportschau geht der Mittelfeldspieler im November 1974 als erster Herthaner als Sieger hervor. Fast die Hälfte aller eingegangenen Stimmen entfallen auf seinen Volleyschuss gegen den MSV Duisburg.

Von 1971 bis 1979 bestreitet der Spreeathener unter den Trainern Helmut Kronsbein, Hans Eder, Georg Kessler und Kuno Klötzer insgesamt 307 Bundesliga-, DFB-Pokal- und UEFA-Pokal-Spiele und erzielt dabei 109 Treffer. Seine 83 Torerfolge in 253 Partien für unsere Blau-Weißen im Oberhaus bleiben unerreicht, ehe Michael Preetz diese Rekordmarke im März 2003 übertrifft. Beide halten bis zum heutigen Tage den Vereinsrekord für die meisten blau-weißen Tore in einer Bundesliga-Saison (23).

Der Ruf des Bundesadlers         

Unter Helmut Schön avanciert Beer zum Nationalspieler, debütiert 1975 gegen die Niederlande und ist in der erfolgreichen Qualifikation zur EM 1976 fortan gesetzt. Beim 1:1 gegen Spanien im Viertelfinal-Hinspiel wird der Herthaner im April 1976 für seinen Treffer zum zweiten Mal mit der Goldmedaille des 'Tor des Monats' der Sportschau ausgezeichnet. Dieses Tor ist für die bundesdeutsche Auswahl ein wichtiger Baustein auf dem Weg ins Endspiel gegen die CSSR. In Belgrad steht die Berliner Ikone ebenfalls in der Startformation. Nach 24 Länderspielen mit sieben Treffern endet für den Vize-Europameister die Karriere im DFB-Trikot. Beim Ausscheiden in der Zwischenrunde der WM 1978 in Argentinien zählt ‘Ete‘ bei seinen Einsätzen dennoch zu den leistungsstärksten Spielern.    

Abschied von der Spree

Hertha BSC muss nach der Saison 1978/79 einen siebenstelligen Transferüberschuss erzielen. Der fast 33-Jährige entschließt sich, seine sportliche Heimat zu verlassen. Beer liegen u.a. Angebote von 1860 München, Racing Strasbourg und auch aus den USA vor. Er folgt jedoch für zwei Spielzeiten dem Ruf von Dettmar Cramer und Ittahad Dschidda aus Saudi-Arabien. Im Anschluss kehrt der Mittelfeldmann für drei Spielzeiten nach Deutschland zum TSV 1860 zurück. Dort beendet der Ballkünstler seine Karriere im Sommer 1984. Noch heute lebt Beer mit seiner Gattin Gabriele im südlich von München gelegenen Grünwald. Der Kontakt zum Hauptstadtclub ist aber nie abgerissen: Nach wie vor verfolgt ‘Ete‘ jedes unserer Spiele.

Auch als begehrter Zeitzeuge sowie Experte ist der ehemalige Ausnahmespieler gefragt und mischt sich bei Veranstaltungen unter die Anhängerinnen und Anhänger. Wie einst nach Trainingseinheiten nimmt sich das Vorbild einer ganzen Generation ausgiebig Zeit für die Fans. Dabei erzählt unser ehemaliger Kapitän die eine oder andere Anekdote und erfüllt allen Blau-Weißen die Wünsche nach Autogrammen und gemeinsamen Fotos.

Die Fans und die Verantwortlichen von Hertha BSC verneigen sich am heutigen Ehrentag vor ‘Ete‘ für seine herausragenden Leistungen sowie für die bis zum heutigen Tage gelebte enge Verbundenheit mit unserem Verein. Die gesamte Hertha-Familie gratuliert Erich Beer aus vollem Herzen zum 75. Geburtstag und wünscht unserem Vereinsidol weiterhin alles erdenklich Gute und stete Gesundheit!

von Frank Schurmann