Fatih Talay im Porträt.
Teams | 27. Oktober 2021, 16:00 Uhr

"Als Stürmer weiß man immer, wo das Tor steht“

Das Sommermärchen im Jahr 2006 zog weltweit Millionen Menschen in seinen Bann und versetzte Deutschland 31 Tage in einen Fußball-Rausch. Was viele nicht wissen: einen Monat vor der Weltmeisterschaft fand in Berlin das erste internationale Blindenfußballturnier statt. Seitdem nimmt die Geschichte dieser Sportart ihren Lauf. Ein Mann, der vor 15 Jahren seine Liebe zum runden Leder entdeckt hat und die Entwicklung des Blindenfußballs von klein auf begleitet, ist Fatih Talay. Der Berliner hat eine eingeschränkte Sehkraft und steckte noch in den Kinderschuhen, als er mit 11 Jahren in einer Blindenschule in Steglitz das erste Mal mit diesem Sport in Kontakt kam.

Für den heute 26-Jährgen spielte dieser Moment im weiteren Lebenslauf eine wichtige Rolle. „Es war schwierig für mich mit der Behinderung umzugehen. Ich wollte es nicht wirklich akzeptieren. Das alles zu realisieren und den Zustand anzunehmen, hat eine gewisse Zeit gebraucht", erklärt der gebürtige Kreuzberger im Gespräch mit herthabsc.com. Der Blindenfußball hat ihm dabei geholfen. „Ich bin mit dem Sport gewachsen, seitdem ist er ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Denn als Mensch mit eingeschränkter Sehkraft habe ich sonst nicht die Möglichkeit mich auszupowern – wenn ich auf dem Platz stehe, fühle ich mich frei.“

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Es war schwierig für mich mit der Behinderung umzugehen. Ich wollte es nicht wirklich akzeptieren. Ich bin mit dem Sport gewachsen, seitdem ist er ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Wenn ich auf dem Platz stehe, fühle ich mich frei.
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-Fatih Talay

„Ich bin der Box-to-Box-Spieler“

Auf dem Platz ist ein gutes Stichwort: Seit dieser Spielzeit ist Talay für unsere ‘Alte Dame‘ am Ball. Der Rechtsaußen ist der Kapitän unserer Blindenfußballer. In den bisherigen Begegnungen sammelte der kleine Bruder von Trainer Yasin Talay mit seinem Team wertvolle Erfahrungen. „Wir haben im Laufe der Saison das System geändert. In der Offensive agieren wir jetzt in einer 2-2-Formation, in der Abwehr mit einer 3-1-Aufstellung. Ich bin der Box-to-Box-Spieler, weil ich eine gute Kondition habe und somit die Laufarbeit übernehme", sagt der Herthaner, der mit seinen Kollegen aus der Offensive so auch die Defensive unterstützt. 

Die Abstimmung der Spieler ist hierbei von großer Bedeutung. In den Trainingseinheiten liegt der Fokus deshalb vor allem auf der Kommunikation. „Von außen bekommen wir viele Impulse von dem Coach und dem Guide. Der Hintertor-Guide sagt mir beispielsweise, wie weit ich vom Tor entfernt bin, wie viele Gegner vor mir sind oder wo ich den Ball hinpassen soll“, unterstreicht der Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste den Stellenwert des Informationsaustausches. Der Außenbahnspieler vertraut in manchen Offensivsituationen jedoch auch seinem Instinkt. „Präzise Angaben vom Trainerstab spielen eine wichtige Rolle, aber als Stürmer weiß man immer, wo das Tor steht“, verrät das Vereinsmitglied mit einem Augenzwinkern. 

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Dieses Jahr ist eine Findungsphase. In den Begegnungen haben wir schon viel dazugelernt: sei es das System, das Kennenlernen des Mitspielers oder die richtige Position. Wir merken, dass wir uns als Team entwickeln und besser werden.
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-Fatih Talay

Den nächsten Schritt machen

In den bisherigen sechs Partien erzielte der Spreeathener zwei Tore, darunter beim 2:2 gegen den Schalke 04 (5. Platz) sowie beim 2:7 gegen den MTV Stuttgart (2. Platz). Dabei ist wichtig zu erwähnen: Nur unserer Truppe gelang es bisher, gegen den Rekordmeister aus dem Schwabenland zu treffen! „Da haben wir direkt ein Ausrufezeichen gesetzt. Unser Standing innerhalb der Liga ist in den Partien stetig gewachsen", so der Flügelspieler. Der verdiente Lohn: Am vergangenen Spieltag holten unsere Blau-Weißen gegen den BSV 1958 Wien (1:0) den ersten ‘Dreier‘. Jedoch sind die Ergebnisse in der neuen Liga ohnehin zunächst zweitrangig. „Dieses Jahr ist eine Findungsphase. In den Begegnungen haben wir schon viel dazugelernt: sei es das System, das Kennenlernen des Mitspielers oder die richtige Position. Wir merken, dass wir uns als Team entwickeln und besser werden“, sieht der 26-Jährige klare Fortschritte.

Eine Leistungssteigerung ist auch am letzten Spieltag das erklärte Ziel. Vor dem Kräftemessen mit der SG Fortuna 95 Düsseldorf/1. FC Düren (30.10.21, 11:30 Uhr) belegt unser Hauptstadtclub mit vier Zählern den sechsten von insgesamt acht Rängen. Die punktgleichen Schalker liegen nur dank einer besseren Tordifferenz vor unserem Team. Im Duell mit dem Tabellenvorletzten möchte unsere Nummer 10 zum Abschluss drei Zähler einfahren. „Wir müssen das Beste aus uns herausholen. Unser Saisonziel ist der fünfte Rang. Um Schalke noch zu verdrängen, brauchen wir die drei Punkte und viele Tore“, gibt der Blau-Weiße die Marschroute vor. Gelingt dieser Schlussspurt, dürfte Talay mit dem ersten Bundesliga-Jahr unserer Blindenfußballer sicherlich rundum zufrieden sein - und vielleicht noch einmal an das Jahr 2006 und die Anfänge zurückdenken.

von Moritz Büscher