Blindenfußball-Guide Fikret Can im Porträt.
Teams | 11. Oktober 2021, 17:20 Uhr

„Kommunikation das A und O“

Während der Ball in der Bundesliga aufgrund der Länderspielpause ruht, biegt die Blindenfußball-Saison auf die Zielgerade ein. Ein Mann, der die bisherigen Partien genauestens verfolgt hat, ist Fikret Can. Der 28-Jährige übt seit dieser Saison die Rolle als Guide unserer Blindenfußballer aus, nachdem er im Vorjahr schon als Fahrer und Betreuer eng am Team dran war. Anders als die Akteure auf dem grünen Rasen besitzt Can die volle Sehkraft - und bildet gemeinsam mit Yasin Talay das Trainergespann. Zurzeit bereiten die gebürtigen Berliner unsere Jungs auf die letzten drei Begegnungen vor – mit vollem Tatendrang füllt Can seine neue Aufgabe aus. „Die Spieler haben mich gefragt, ob ich mir die Position als Guide bei Hertha BSC zutraue. Für mich gibt es in Berlin keinen anderen Verein - da musste ich als Blau-Weißer nicht lange überlegen. Der Blindenfußball ist seitdem ein großer Teil meines Lebens. Nach der Uni hole ich meine Spieler ab und dann geht’s auf den Platz“, betont der Spreeathener seine Leidenschaft im Gespräch mit herthabsc.com.

Nach den Anfängen im Vorjahr ist Can nun also als Guide für sein Team in der Bundesliga dabei - einer Spielklasse, an die sich unsere Blau-Weißen mit zunehmender Dauer besser gewöhnt haben. „Wir haben uns kontinuierlich gesteigert. Viele Gegner waren überrascht, dass wir in dieser neuen Konstellation im ersten Jahr schon so gut mithalten und Paroli bieten können“, freut sich der Herthaner nicht ganz zu unrecht mit ein wenig Stolz. Denn der Austausch zwischen den Akteuren auf dem Feld und den Betreuern ist in diesem Sport ein entscheidender Faktor. „Die Jungs sind meine ersten Ansprechpartner. Durch ihre Verbesserungsvorschläge kann ich mein Coaching weiterentwickeln und präzise Anweisungen in meiner Zone geben“, erklärt der Co-Trainer die Hilfestellungen.

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Meine Mannschaftskollegen fragten mich damals, ob ich mir die Position als Guide bei Hertha BSC zutraue. Für mich gibt es in Berlin keinen anderen Verein - da musste ich als Blau-Weißer nicht lange überlegen.
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-Fikret Can

„Ich muss die Spieler steuern und den Angriff leiten“

Aber wie sieht das Coaching eigentlich genau aus? In der zwölf Meter umfassenden Zone übernimmt der Blau-Weiße den Dirigentenstab und gestaltet das Angriffsspiel seiner Schützlinge. In diesem Bereich darf der Student seinem Team mit Kommandos helfen – in der Defensive spricht der Torhüter, für das Mittelfeld ist der Trainer verantwortlich. „Das vordere Drittel ist mein Revier. Wenn ich die Zahl zwölf sage, wissen meine Jungs, dass sie sich in der Offensive befinden. Die Angaben müssen präzise und kurz sein. Ich muss die Spieler steuern und den Angriff leiten“, schildert der Spreeathener seine Funktion an der Bande.

Um seine Kollegen auf dem Platz in die beste Position zu bringen, gibt der Hauptstädter die Entfernung zum Tor, zum Ball und zu den Gegenspielern an. Er beschreibt auch die genauen Laufwege. Der ehemalige Fußballer, der in der Jugend für die SC Berliner Amateure auflief, muss dabei ständig reden und vorausdenken. „Die Kommunikation ist das A und O. Der totale Fokus und die permanente Antizipation strengen dabei schon an. Ich habe keine freie Sekunde - auch wenn der Ball in unserer Defensive ist, muss ich schon überlegen, wann was passieren könnte. Ich denke taktisch mit und analysiere das Spiel“, hebt der Hertha-Fan die dauerhafte Beobachtung aller Mannschaftsteile hervor.

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Luft nach oben gibt es immer, bei uns ist es im ersten Jahr halt noch ein bisschen mehr Luft.
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-Fikret Can

Der Glaube an die eigenen Stärken

Alle Mannschaftsteile haben in den vergangenen Monaten eine gute Entwicklung genommen – der große Unterschied zu den Topclubs besteht in der fehlenden Erfahrung. „Meiner Meinung nach ist unser Angriff einer der stärksten der Liga, auch unsere Verteidigung ist gut aufgestellt. Luft nach oben gibt es immer, bei uns ist es im ersten Jahr halt noch ein bisschen mehr Luft“, schätzt der Guide die Verbesserungspotenziale des ehrgeizigen Teams ein. Dass in der Premieren-Saison noch nicht alles klappt, ist selbsterklärend, auch wenn unsere Blindenfußballer von der tatkräftigen Unterstützung der beiden Partner VANDA Pharmaceuticals und OrCam profitieren.  

Dass die Akteure, trotz eingeschränkter Sehkraft, eine solche Ballkontrolle und ein solches Gespür für den freien Raum haben, findet unser Vereinsmitglied faszinierend. „Die Koordination und die Präzision der Pässe sind erstaunlich - für mich war es eine große Herausforderung den Ball mit geschlossenen Augen vom linken zum rechten Fuß zu führen“, zeigt sich Can beeindruckt von dieser einzigartigen Sportart.

Klares Ziel für den Abschluss der Spielzeit 

Feine Füße und klare Annweisungen sind auch in den letzten drei Partien der Saison gefragt. Nach den ersten vier Begegnungen belegen unsere Blindenfußballer mit einem Punkt den vorletzten Rang. Am Doppelspieltag treffen unsere Hauptstädter am Samstag auf den BSV 1958 Wien (16.10.21, 15:00 Uhr) und einen Tag später auf den FC St. Pauli (17.10.21, 14:00 Uhr). Für die beiden anstehenden Kräftemessen hat Can ein klares Ziel - wie übrigens auch für den Abschluss der Saison: „Gegen Wien wünsche ich mir von unserer Mannschaft einen Sieg. Mit dem FC St. Pauli erwartet uns ein schwieriger Gegner – da geben wir unser Bestes." Gelingt das Vorhaben, dürfte der von Can anvisierte fünfte Tabellenplatz durchaus realistisch werden. 

von Moritz Büscher