Trainer Yasin Talay passt den Ball.
Teams | 4. September 2021, 12:00 Uhr

"Ich bin das Augenlicht meiner Spieler"

Yasin Talay und Hertha BSC – ein Zusammenspiel, das sich gesucht und gefunden hat. Der 29-Jährige ist Berliner durch und durch, in Kreuzberg geboren und aufgewachsen. Der BWL-Student, der aktuell seine Bachelorarbeit schreibt und in den letzten Zügen seines Studiums ist, möchte auch beruflich im Fußballbereich durchstarten. Seit dieser Saison übt er das Traineramt bei unseren Blindenfußballern, die von Hauptpartner VANDA Pharmaceuticals unterstützt werden, aus. Durch seine neue Funktion kann sich der Übungsleiter noch mehr seiner Leidenschaft widmen – dem Fußball. Der langjährige Dauerkarteninhaber hat seit seiner Geburt eine eingeschränkte Sehkraft, die sich mit zwölf Jahren nochmals auf 20 Prozent verschlechtert hat. „Im Olympiastadion kann ich, wenn ich hinter dem Tor stehe, den Ball bis zu 20 Meter verfolgen. Beim Blindenfußball kann ich jedoch alles sehen“, gibt Talay im Gespräch mit herthabsc.com eine Vorstellung über sein Sehvermögen wieder.

Das Spielfeld misst 20 mal 40 Meter und die Größe des Tores entspricht einem Hockeytor. Als leidenschaftlicher Hertha-Fan und Galatasaray-Sympathisant, der vor der Corona-Zeit zwei- bis dreimal im Jahr zu den Derbys in die Türkei geflogen ist, kennt er sich auch in der Berliner Fußballregion gut aus. Neben den Auftritten im Olympiastadion schaut sich unser Vereinsmitglied auch gerne die Partien in der Kreis-und Verbandsliga an.

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Das internationale hohe Niveau, auf dem die Spieler mit dem Ball umgegangen sind, hat mich beeindruckt.
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-Yasin Talay

Europameisterschaft als Initialzündung

Mit dem Gedanken, sich für den Blindenfußball zu engagieren, befasste sich der 29-Jährige schon seit mehreren Jahren. Die Initialzündung war schließlich die Europameisterschaft im Jahr 2017 in Berlin. „Das internationale hohe Niveau, auf dem die Spieler mit dem Ball umgegangen sind, hat mich beeindruckt“, sagt Talay voller Begeisterung. Durch seinen Bruder Harun-Fatih, der seit seinem zwölften Lebensjahr Blindenfußball spielt und in dieser Saison für unsere Spreeathener aufläuft, kennt er bereits viele Akteure. Die Entscheidung, das Traineramt zu übernehmen, war von einer besonderen Motivation geprägt. „Unsere Mannschaft besteht aus guten Freunden. Ich möchte den Jungs helfen und sie nach der langen Zeit ohne Ball am Fuß mit meinem Trainerkollegen unterstützen, damit sie wieder fit werden und sich taktisch sowie spielerisch entwickeln“, erklärt der gebürtige Berliner.

Für den Herthaner zeichnet sich der Blindenfußball sowohl durch den Fokus auf den Hör- und Orientierungssinn als auch durch das Zusammenspiel im Team aus, um sich zu positionieren und gegenseitig zu koordinieren. Talay ist als Trainer für das Mittelfeld verantwortlich, dem Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff. „Dauerhafte Kommunikation und Hilfsanweisungen sind entscheidend, um die Spieler zu führen und ihnen zu sagen, wo sich der Ball befindet. Ich bin das Augenlicht meiner Spieler und muss an der Bande immer aktiv sein“, fasst der BWL-Student seine Hauptaufgaben zusammen. Dabei ist es wichtig, sehr laut zu sprechen, damit die Kommandos deutlich bei den Spielern ankommen. Die Anweisungen der gegnerischen Guides und Trainer mit dem eigenen Organ zu übertönen, sorgt während eines Spiels bei Talay mitunter für eine heisere Stimme. "Bei unserer zweiten Begegnung am Doppel-Spieltag hatte ich fast keine Stimme mehr", schmunzelt der Coach. 

Blindenfußball-Trainer Yasin Talay im Portrait.
Trainer Yasin Talay trägt mit Stolz das Hertha-Wappen auf der Brust.

Ausblick auf Stuttgart und Ziele mit der Mannschaft

Seine Stimme braucht der Übungsleiter auch wieder beim Auswärtsspiel am Samstag (04.09.21, 16:30 Uhr) bei der MTV Stuttgart – für dieses sieht Talay allerdings nur Außenseiterchancen: „Die Stuttgarter sind mit St. Pauli Meisterschaftsfavorit. Wir müssen defensiv gut stehen und wach sein – wir werden unser Bestes geben.“ Das während der Corona-Pause harte Ausdauer- und Krafttraining bildet für den Saisonverlauf die Basis. Derzeit stehen neben der körperlichen Fitness taktische und spielerische Elemente auf dem Programm, um im Spiel die Formationen flexibel ändern zu können und das Ballgefühl sowie das Gespür für den Raum zu entwickeln. Zudem versucht der Berliner die Kommunikation mit seinen Jungs zu verbessern, da in den Spielen der Geräuschpegel deutlich höher ist als im Training.

"Ich bin sehr stolz, ein Teil von Hertha zu sein"

Nach dem Aufeinandertreffen mit den Schwaben warten auf unsere Blau-Weißen im weiteren Saisonverlauf bis Ende Oktober noch vier weitere Leistungsvergleiche – dafür ist die Zielsetzung bereits fixiert. „Wir wollen uns als Team weiterentwickeln und längerfristig oben mitspielen, aber das braucht Zeit und Geduld. Wichtig ist, dass alle Spiele fit bleiben", untermauert der Verantwortliche. Mit erfolgreichen Auftritten möchte unsere 'Alte Dame' Werbung für den Sport machen. "Für den Blindenfußball würde ich mich sehr freuen, wenn wir mehr Sehbehinderte erreichen und vor allem Kinder an diese Sportart heranführen. Ich bin sehr stolz, ein Teil von Hertha zu sein und möchte das auch an die jetzigen und zukünftigen Spieler vermitteln“, äußert Talay seine persönlichen Absichten – für die er und seine Mannschaft alles langfristig investieren werden.

von Moritz Büscher