Mit Moral und Nervenstärke
Profis | 31. Oktober 2019, 11:53 Uhr

Mit Moral und Nervenstärke

Mit Moral und Nervenstärke

In einem verrückten Pokalkrimi behält Hertha BSC nach Elfmeterschießen die Oberhand. Trotz Rückschlägen steckten die Blau-Weißen nie auf. Am Samstag (02.11.19, 18:30 Uhr) wartet Union Berlin.
Berlin - Manchmal liegen im Fußball nur wenige Minuten zwischen Himmel und Hölle, wenige Minuten zwischen Ausscheiden und Weiterkommen, wenige Minuten, in denen Spieler mit einer einzelnen Aktion zum Helden avancieren. Das Spiel in der 2. Hauptrunde des DFB-Pokals von Hertha BSC gegen Dynamo Dresden am Mittwochabend (30.10.19) war genau so eine Partie - ein echter Pokalkrimi, ein Hin und Her, ein Nervenbad der Gefühle vor einer beeindruckenden Kulisse - schlussendlich aber ein Kräftemessen, das die Blau-Weißen nach Elfmeterschießen mit 8:7 (2:2, 3:3 n.V.) für sich entschieden. Oder wie Marvin Plattenhardt es fast schon um Mitternacht treffend zusammenfasste: "Brutal, ich finde gerade keine anderen Worte. Dass wir das Spiel zum Schluss noch gewonnen haben, ist atemberaubend. Das war purer Nervenkitzel für uns Spieler und für das gesamte Stadion."

Phasenweise wie ein Handball-Spiel

Stoff für Geschichten bietet das Duell zwischen dem Bundes- und dem Zweitligisten beinahe unerschöpflich. Der Reihe nach: In der Anfangsphase zeigten die Herthaner klar, wer das bessere Team ist, jedoch verpassten sie bei Doppelchancen von Marius Wolf und Salomon Kalou (7.) sowie kurz darauf durch Ondrej Duda (8.) und Javairo Dilrosun (13.). die frühe Führung, die dem Spiel eine andere Note verpasst hätte. "Wir hatten einen guten Einstieg mit vielen Möglichkeiten, die wir nicht genutzt haben", analysierte Ante Covic den Beginn. Allerdings war das nicht der einzige Grund, über den der Trainer sich in der Folgezeit ärgern musste. "Wir haben mit Fehlern im Aufbau den Gegner unnötig ins Spiel gebracht." Und als nach eigener Ecke die Gäste aus Sachsen durch Koné konterten und trafen (37.), fühlten sich die Hauptstädter an die vergangenen Wochen erinnert. "Wir sind mal wieder unnötig in Rückstand geraten. Aber wir wissen, was wir machen müssen, um so ein Spiel umzubiegen", verdeutlichte Covic das Vertrauen in sein Team. Und tatsächlich bewies die 'Alte Dame' Nehmerqualitäten und schlug unmittelbar nach Wiederanpfiff nach einem feinen Spielzug über Vladimir Darida, Duda und Dodi Lukébakio zurück (48.).

Der Ausgleich beflügelte die Hausherren zusätzlich, in bester Handball-Manier schnürten sie den aufopferungsvoll kämpfenden Gegner am eigenen Sechzehner ein. Angriff um Angriff rollte nun auf das Tor von Kevin Broll zu, der erst einen Schritt schneller war als Dilrosun (52.) und dann bei einem Kopfball des Niederländers und einem Abschluss von Salomon Kalou mit Latte (56.) und Pfosten im Bunde war (59.). Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte: Die letzten zehn Minuten der regulären Spielzeit sollten ein Vorgeschmack werden für das, was noch kommen sollte und was Plattenhardt mit "Nervenkitzel" meinte. Nach einem Foul von Dresdens Kreuzer an Lukébakio entschied Schiedsrichter Tobias Stieler auf Elfmeter, den Duda souverän verwandelte (85.).

Die Stimmung im Olympiastadion brodelte in diesem Moment über und die Berliner sahen wie der sichere Sieger aus - bis Dynamo mit der eigentlich einzigen Offensivaktion die ausgelassene Stimmung in der Schlussminute abrupt unterbrach. Nach einem Foul von Niklas Stark war es ausgerechnet der Ex-Herthaner Patrick Ebert, der vom Punkt zum 2:2 traf. Thomas Kraft, der im Pokal für Rune Jarstein spielte, hatte die Ecke zwar geahnt, konnte den Ball jedoch nicht mehr entscheidend abwehren (90.). "Das war schon bescheuert von uns, das wir so noch in die Verlängerung gehen mussten", gestand Covic offen ein. "Wir hätten das Spiel schon vor dem Elfmeterschießen entscheiden müssen. Das ist das Einzige, was wir uns ankreiden lassen müssen", räumte auch Wolf ein.

Torunarigha mit dem falschen Fuß

Die erste Hälfte der unfreiwilligen Nachspielzeit ist im Vergleich zur restlichen Spielzeit schnell erzählt. Die Kräfte ließen zunehmend nach, der Druck bzw. die Furcht vor einem spielentscheidenden Fehler lähmte beide Mannschaften ein wenig, auch wenn die Blau-Weißen das agilere Team blieben. Allerdings folgte in der zweiten Hälfte der Verlängerung eben dieser vermeintlich finale Nackenschlag für die Covic-Elf, als Skor den etwas unglücklich agierenden Kraft zum 3:2 für Dresden überwand (108.). "In den Augen meiner Jungs habe ich gemerkt, dass sie auch nach dem Gegentor an sich geglaubt haben“, sagte der Fußballlehrer, der in seiner Coaching-Zone selbst so manchen Kilometer zurücklegte.

Wütend rannten die Berliner an - doch das Tor der Gäste schien wie verhext - bis in der dritten Minute der Nachspielzeit ein weiterer Ball hoch in den SGD-Strafraum segelte. Was dann passierte, lässt sich aus blau-weißer Sicht als Ekstase pur beschreiben: Davie Selke berührte das Spielgerät mit dem Kopf entscheidend und der aufgerückte Jordan Torunarigha, der nach einer unglücklichen Aktion zuvor fast nur noch humpelte, hämmerte das Kunstleder mit seinem schwächeren rechten Fuß in die Maschen (123.). "Krank. Einfach krank! Das war total verrückt. Ich bekomme den Ball noch gegen den Kopf und Jordan haut ihn einfach rein. Aber wichtig war hier gegen Dresden, dass wir immer wieder zurück gekommen sind“, kommentierte Angreifer Selke diese unglaubliche Situation anschließend. "Wie Jordan den dann mit seinem schwachen rechten Fuß verwandelt, war sensationell", sagte Marko Grujic mit breitem Grinsen in der Mixed-Zone.

Bildergalerie: Hertha BSC - SG Dynamo Dresden

Kraft wird zum Elfmeter-Held

2:2 nach regulärer Spielzeit durch ein Tor in der letzten Minute, 3:3 nach einem Treffer in der allerletzten Aktion - fast konsequent, dass das Drehbuch der Partie eine Entscheidung im Elfmeterschießen vorgesehen hatte. Nachdem die ersten beiden Schützen auf jeder Seite getroffen hat, schlug die Stunde von Torwart Kraft. Den dritten Versuch von Müller parierte der Schlussmann reaktionsschnell, auch nach dem Fehlschuss von Karim Rekik hielt er seine Farben im Spiel und entschärfte den Versuch von Stor. Doch Stieler ließ den Strafstoß wiederholen, weil der Berliner sich zu früh nach vorne bewegt hatte - und im zweiten Anlauf traf der Dresdener.

Niemand hielt es mehr auf den Sitzen, als die Spannung ins Unermessliche stieg, waren die sechsten Schützen an der Reihe. Und als Kraft erst den Elfmeter von Ehlers an den Pfosten lenkte und Grujic souverän traf, fiel eine zentnerschwere Last von allen Blau-Weißen. Der Einzug ins Achtelfinale war in diesem Moment perfekt - und Kraft durchlebte binnen weniger Minuten eben jene Momente zwischen Himmel und Hölle. "Wir haben großes Vertrauen in Thomas, sonst hätten wir ihn nicht aufgestellt. Es freut uns alle, dass er am Ende das Spiel mit seinen Paraden gewonnen hat", freute sich Covic für seinen Keeper, hatte aber auch in der Stunde des Sieges mitfühlende Worte für den Kontrahenten bereit. "Als Sportsmann sind die Gedanken nach dem Elfmeterschießen auch immer ein bisschen beim Gegner, denn so auszuscheiden ist sehr bitter. Auch für unsere Nerven war das nicht leicht." 

Jetzt steht das Derby an

Nach diesem emotionalen Auf und Ab fast schon rational betrachtete es der Schütze des entscheidenden Elfmeters. "Ich denke, dass wir die Fans nicht nur verwöhnt haben, aber am Ende sind wir weitergekommen – das zählt", sagte Grujic nach dem Jubelbad vor der Ostkurve. Dort stimmten die Fans ihre Mannschaft auch schon auf die nächste Partie ein, in dem Helden geboren werden können: das Stadtderby bei Union Berlin am Samstagabend (02.11.19, 18:30 Uhr). "Nach dem Spiel haben uns die Fans nochmal heiß gemacht für Samstag. Wir werden wieder so fit sein, dass wir bei Union alles geben können, so ein Sieg kann auch beflügeln. Auf das Derby ist jeder heiß. Solche Spiele kitzeln aus einem nochmal ein paar Prozente raus", sagte Marius Wolf, ehe er sich mit seinen Mitspielern zurückzog und diesen verrückten Fußballabend einmal Revue passieren ließ.

(fw/City-Press)

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