
Das Gefühl, willkommen zu sein
Das Gefühl, willkommen zu sein

herthabsc.de: Christian und Holger, ihr leitet das Training jetzt schon einige Wochen. Wie empfindet ihr die Arbeit mit den jungen Geflüchteten? Eher als kräftezehrend oder überwiegt die Freude, wenn ihr seht, dass die Jungs Spaß am Training haben?
Holger Lindemann: Für mich ist es auf jeden Fall wichtig, dass der Spaß im Vordergrund steht. Und kräftezehrend ist es überhaupt nicht. Ich bin mit dem Herzen immer voll dabei. Wenn die Jungs auf dem Platz lächeln, dann lache auch ich und das ist dann das Schönste, was es gibt (lacht).
Christian Andrés González: Bei mir ist es genauso. Ich arbeite für Champions ohne Grenzen e.V. und bei unseren dortigen Mannschaften ist es ebenfalls das Wichtigste für uns, dass die Spieler Spaß haben. Es geht bei uns nicht um Leistung, sondern um die Lust am Fußball. Das ist die Hauptsache!

Lindemann: Ich sehe es als „Rundum-komplett-Paket“. Ich bin Freund, Kumpel, Berater, Trainer. Jeder kann zu mir kommen, wenn er irgendwelche Fragen hat - man kann mit uns über alles sprechen.
González: Genau! Nach dem Training haben wir auch schon angefangen, mit den Jungs über Berufsorientierung zu sprechen. Wir brauchen als Mannschaft Spaß - aber wir wollen auch, dass sie sich willkommen fühlen. Sie können mit uns über alles reden, Tipps, Hinweise und Hilfestellungen bekommen.
herthabsc.de: Kommen wir kurz zu eurem persönlichen Werdegang. Christian, du arbeitest für Champions ohne Grenzen e.V., die sich für die Integration von Flüchtlingen in Deutschland einsetzen. Wie hast du deinen Weg bis dahin gestaltet? Wie kamst du dazu?
González: Ich arbeite seit April 2014 für die Champions. Vorher habe ich in einem Verein gespielt (Hansa 07), wo ich immer noch aktiv bin. Ein Mitspieler, der sich ebenfalls bei den Champions engagiert, hat mir von dem Projekt erzählt. Das klang sehr spannend und so bin ich einfach mal mitgegangen und habe schnell gemerkt, dass mir dieses Engagement einen Riesen-Spaß macht.
herthabsc.de: Machst du das nur nebenbei oder ist das dein Hauptberuf?
González: Parallel unterstütze ich auch ein paar andere Projekte, die mir sehr wichtig sind. Bei Champions ohne Grenzen verbringe ich jedoch den Großteil meiner Zeit. Es spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben.
herthabsc.de: Und warum hast du dich gerade jetzt für das Projekt „Willkommen im Fußball“ entschieden?
González: Für mich war es wichtig, zu sehen, wie es funktioniert, mit einem großen Sportverein zusammenzuarbeiten. Bei Champions ohne Grenzen haben wir die Trainingseinheiten für junge Flüchtlinge sonst unabhängig von Vereinen und Stiftungen durchgeführt. Jetzt hatten wir die Chance, mit Hertha BSC gemeinsam etwas zu initiieren. Natürlich gab es am Anfang ein paar Bedenken, ob wir die gleichen Ziele verfolgen, da bei uns ja ganz klar der Spaß und ein nachhaltiges Miteinander im Fokus stehen und Hertha BSC ein Profiverein ist, bei dem vor allem Leistung zählt. Aber wir haben viel darüber geredet und konnten alle Unsicherheiten ausräumen. Alle Beteiligten sind sehr froh darüber, dass wir dieses Projekt gemeinsam realisieren können.
herthabsc.de: Holger, du bist Trainer der U13 von Hertha BSC. Wie wurdest du ein Teil der Hertha BSC Jugendakademie?
Lindemann: Also erst einmal bin ich sehr stolz darauf, für diesen Verein arbeiten zu dürfen und ich bin auch sehr stolz darauf, dass mir Hertha BSC das Vertrauen entgegenbringt. Ich habe in Berlin mit meiner alten Mannschaft ein wenig für Furore gesorgt. (lacht) Als ich dann gefragt wurde, ob ich bei Hertha BSC die Ausbildung übernehmen möchte, habe ich natürlich sofort ja gesagt. Das war immer ein Traum von mir!
herthabsc.de: Neben deiner Tätigkeit für die U13 organisierst du jetzt auch das Training für die jungen Geflüchteten. Wie kam es dazu, dass du dich dafür entschieden hast, diese Extra-Aufgabe zu übernehmen
Lindemann: Hertha BSC hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, dieses Projekt mitzugestalten. Und wenn ich etwas für Hertha BSC oder für andere machen kann, bin ich sofort dabei! Für mich ist das auch ein großer Vertrauensbeweis. Ich bin sehr stolz, bei „Willkommen im Fußball“ mitarbeiten zu dürfen. Ich freue mich sehr, dass die Zusammenarbeit mit Christian so gut funktioniert!
herthabsc.de: Die Spieler scheinen dich ja auch zu mögen. Als was für einen Trainertypen würdest du dich bezeichnen?
Lindemann: Ich bin eine gute Mischung aus allem (lacht). Man kann mit mir eine Menge Spaß haben - aber ich habe auch ein strenges Auge, dass die Aufgaben konzentriert ausgeführt werden.

herthabsc.de: Viele von den Jungs befinden sich momentan in einer extremen Lebensphase, die man sich so gar nicht vorstellen kann - weit weg von zu Hause und ohne jemanden zu kennen. Merkt man das auch auf dem Platz? Oder geht es nur darum, das Runde ins Eckige zu befördern und die eigene Situation für ein paar Minuten zu vergessen?
Lindemann: Ich habe das Gefühl, dass die Jungs alles vergessen, wenn die Jungs auf dem Platz stehen. Wenn die Jungs herkommen, können sie einiges ausblenden und es zählt nur dieser Moment auf dem Platz. Da kriegt man als Trainer eine Gänsehaut. Es ist schön zu sehen: „Ok, das passt hier!“
herthabsc.de: Christian, du stehst ja auch jeden Dienstag mit auf dem Platz. Bist du bislang zufrieden mit den Jungs? Ist dir neben dem ganzen Spaß schon ein Talent aufgefallen?
González: (lacht). Ja, es gibt gute Spieler. Bei den Jungs geht es nicht um Leistung. Es gibt aber schon zwei oder drei Jungs, die richtig gut spielen. Wir hatten auch Kicker aus Syrien, die bei der Nationalmannschaft gespielt haben. Wie gesagt, es ist richtig gemischt. Umso schöner, dass es so gut passt!
herthabsc.de: Du hast vorhin schon die Berufsorientierung angeschnitten. Es sind ja noch weitere Bildungsangebote geplant. Wie siehst du es, sind da noch weitere Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, etwas, das verbessert werden muss?
González: Ja, das kann man immer. Wir haben vor ein paar Wochen angefangen, mit der Mannschaft zu arbeiten. Wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen. Mal sehen, was die Zukunft bringt, es gibt noch viel zu tun!
herthabsc.de: Holger, wo siehst du noch Verbesserungspotential?
Lindemann: Gute Frage. Wir müssen erst einmal hier reinwachsen, Routine reinbringen und dann schauen, wo noch Hand angelegt werden muss. Wichtig ist, dass wir untereinander immer kommunizieren, damit wir schnell merken, wo Bedarf besteht.
herthabsc.de: Zum guten Schluss haben wir eine These für euch: „Willkommen im Fußball trägt zur Integration der Flüchtlinge in der Stadt bei.“ Würdet ihr das unterschreiben oder nicht?
Lindemann: Ja, das würde ich so unterschreiben.
González: Auf jeden Fall!
herthabsc.de: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft!
(thb,nd/thb)